Ausland27. Juli 2022

»Ich bin bereit«

Faschisten-Führerin will Wahlen in Italien gewinnen. Wer ist Georgia Meloni ?

von Gerhard Feldbauer

Nachdem Ministerpräsident Mario Draghi nicht mehr über eine Mehrheit mehr im Senat verfügte und zurücktreten mußte, hat Staatspräsident Sergio Mattarella das Parlament aufgelöst und für den 25. September vorgezogene Wahlen angesetzt. Planmäßig wäre die Legislaturperiode erst im Frühjahr 2023 zu Ende gegangen.

Am Wochenende meldete sich Giorgia Meloni, die Führerin der Fratelli d‘Italia (Brüder Italiens, FdI) zu Wort und erklärte gegenüber der Turiner Zeitung »La Stampa«, sie bereite sich darauf vor »in den Palazzo Chigi (Sitz der Regierung) einzuziehen, und die FdI ebenfalls«. Sie zeigte sich überzeugt, daß »die Mitte-Rechts-Partei (aus FdI, der Forza Italia unter Ex-Premier Silvio Berlusconi und der Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini) die Wahlen gewinnen« werde. Laut ANSA hielt Lega-Chef Salvini – der mit Meloni um die führende Position in der Allianz konkurriert – dagegen, er sei sicher, daß »die Lega gewinnt und die erste Partei sein wird«. Er bekräftigte seien ausländerfeindlichen Kurs. Der »Ministerrat einer regierenden Lega« müsse als erstes »ein Sicherheitsdekret mit Null illegalen Einwanderern in unserem Land beschließen«.

Bei den Brüdern Italiens handelt es sich um nichts anderes als eine aus der bereits 1946 als Nachfolger der Partei des faschistischen Diktators Mussolini wieder gegründeten Movimento Sociale Italiano (Sozialbewegung, MSI) hervorgegangene Partei. Daran ändert auch nichts, daß die Partei sich 1995 zur Verdeckung ihrer Vergangenheit in Alleanza Nazionale (AN) umtaufte, die das linke »Manifesto« als eine »Nazi-onale Allianz« bezeichnete. Nach dem Sturz der Regierung des FI-Chefs Berlusconi 2011, der die AN seit 1994 angehörte und Meloni seit 2008 als Ministerin, bildete Meloni mit einer Mehrheit der AN die Fratelli d‘Italia und übernahm 2012 deren Führung.

Die faschistische Allianz versucht, ihren rechtsextremen Charakter durch die Benennung als »Mitte-Rechts-Partei« zu verdecken. In dieser Koalition ist Giorgia Meloni eine ausgesprochene Hardlinerin, die – im Gegensatz zu Berlusconi und Salvini – jegliche Kompromisse mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) oder der Fünf-Sterne-Bewegung ablehnt. Daher beteiligte sie sich auch nicht an der sogenannten »Regierung der nationalen Einheit«, die Mario Draghi 2021 mit FI, Lega und PD und M5S bildete. Von Anfang an betrieb sie deren Sturz und setzte darauf, daß das Verbleiben in der Opposition ihr Wählerzulauf aus dem rechten Lager bringen würde. Umfragen sagen ihr bisher für den 25. September einen »haushohen Sieg« voraus.

Ihr Festhalten am unverfälschten Erbe des Mussolini-Faschismus demonstrierte Giorgia Meloni, als am 26. April dieses Jahres die Witwe des MSI-Gründers Giorgio Almirante verstarb. Der MSI-Gründer war Staatssekretär des »Duce«, dessen führender Rassenideologe, und hatte noch kurz vor Kriegsende einen »Genickschuß-Erlaß« gegen Partisanen unterzeichnet. Bei der MSI-Gründung zu ihrem Vorsitzenden gewählt, bekannte er sich mit der Anerkennung des faschistischen Pateiprogramms von 1919 und der Festlegung im MSI-Programm, »die soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen« zur Wahrung des Erbes Mussolinis. Diese Position vertrat er bis zu seinem Tod 1988 und gab sie an seine Nachfolger weiter. Seine Witwe Assunta galt, wie der »Corriere della Sera« schrieb, seit seinem Tod als »respektierte Königinmutter und Gralshüterin des Erbes Mussolinis in der Bewegung«.

Giorgia Meloni ließ es sich nicht nehmen, an der Beerdigung in der Basilika Santa Maria in Montesanto auf der Piazza del Popolo in Rom teilzunehmen, gemeinsam mit zahlreichen führenden Faschisten ihrer FdI, die am Sarg den »römischen Gruß« zeigten. Laut »Corriere« würdigte die FdI-Chefin die Frau des MSI-Gründers als »eine Säule des historischen Gedächtnisses der italienischen Rechten« und fügte hinzu: »Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus«.

Diese Fakten muß man im Blick haben, wenn Frau Meloni erklärt, daß »die Identität, die Ziele von Mitte-Rechts bekannt sind, es darum geht, sie zu wiederholen«. Damit sind die zwölf Jahre gemeint, die Italien mit Unterbrechungen von 1994 bis 2011 unter der Tyrannei Berlusconis, die Meloni als Ministerin 2008-2011 mitmachte. Antonio Tabucchi nannte sie eine Herrschaft der »Despotie«, die, wie Umberto Eco einschätzte, das »übelste Erbe des Faschismus« Mussolinis verkörperte, während der, so entlarvten es Schriftsteller wie Luigi Malerba, Angelo Bolaffi, Silvia Ballestra, Nanni Moretti und Stefano Benni, die »grundlegenden Freiheiten der Demokratie und des zivilen Lebens« bedroht wurden.

Wenn Giorgia Meloni von »einer gemeinsamen Startposition« in der Koalition spricht, ist zu beachten, daß sie hier mit zuletzt 22,5 Prozent bei Umfragen den ersten Platz unter allen Parteien belegt und die Lega mit 14,9 und FI mit 8,3 Prozent deutlich hinter sich läßt, und somit vorgeben will, wo es lang geht im Wahlkampf. Dem Liebäugeln Berlusconis mit dem PD erteilt sie eine klare Absage. »Die Demokratische Partei ist der Feind«, betont sie, und bei den Wahlen gehe es darum, »den Feind klar aufzuzeigen« und »zu schlagen«.

Was die Wahl des Ministerpräsidenten betrifft, werde »regieren, wer gewinnt«, schließt Meloni, die sich sicher ist, daß sie den ihr inzwischen vorausgesagten »haushohen Gewinn« einfahren wird. Um Brüssel zu beruhigen sagt sie, zur Ukraine gebe es »keine Zweifel«, sie unterstütze »den weiteren Versand von Waffen« und stellte klar: »Wir können nicht daran denken, neutral zu sein. Die Außenpolitik einer von den Brüdern Italiens geführten Regierung wird die der heutigen bleiben«.

Während »die Rechte sich rechtzeitig bewegt«, herrscht bei »Mitte-Links« Chaos, schreibt das linke »Manifesto«. Die »fassungslose Demokratische Partei« befinde sich »in stockfinsterer Nacht« und ihr Sekretär Enrico Letta erklärte die Fortsetzung des Bündnisses mit der Fünf-Sterne-Bewegung für »unmöglich«, während M5S-Chef Conte hingegen darauf »immer noch hofft«. Im Chaos schließe der PD nicht einmal die Hypothese aus, seine Liste für alle zu öffnen, darunter für die von Di Maio von der M5S abgespaltene Partei Insieme per il Futuro bis zum PD-Abtrünnigen Roberto Speranza mit seiner Splittergruppe.

Im linken Magazin »Contropiano« schätzt der Ex-Kommunist und frühere Gewerkschafter der FIOM/CGIL von der Leitung der Linkspartei Potere al Popolo. Giorgio Cremaschi ein, der PD appelliere zwar »wählen Sie uns, sonst kommt Meloni«, aber »der PD ist keine Alternative zur Rechten«. Mit ihrem Bündnis-Ansatz habe sie seit dreißig Jahren ständig dazu beigetragen, »die Rechte zu stärken«. Schließlich seien PD und FdI heute »de facto bereits Verbündete in Sachen Waffen, Krieg und NATO«. In der Draghi-Regierung habe der PD »alle ihre wichtigsten Standpunkte und Programme« übernommen: »Vom Krieg über die Zentralität von Confindustria und Unternehmen bis hin zu Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben, Privatisierungen, Renten, Arbeitsplatzunsicherheit, Gesetzen zu sozialen Rechten und Migranten und zu differenzierter Autonomie, bei der Verwüstung der Umwelt«.

Der PD habe dazu beigetragen, daß »am Ende die Hälfte und mehr der Menschen nicht zur Wahl gehen«. Dabei gebe es Anknüpfungspunkte, denn 60 Prozent der Italiener sind heute gegen den Krieg und 80 Prozent waren gegen das Fornero-Rentengesetz. Die wirkliche demokratische Krise des Landes sei »das Fehlen einer echten Alternative zur Rechten«. Cremaschi resümiert: »Die Demokratische Partei ist eine der ersten Verantwortlichen für den Erdrutsch nach rechts in der italienischen Politik und zu Wahlen«.