Wirtschaft als Waffe
Die EU bereitet ein Instrument zur Abwehr extraterritorialer USA-Sanktionen und weiterer ökonomischer Zwangsmaßnahmen im globalen Machtkampf vor
Die EU treibt ihre Arbeit an einem Abwehrinstrument gegen extraterritoriale Sanktionen und weitere wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen voran und will im Oktober ein Konzept dazu vorlegen. Hintergrund ist, daß bisherige Versuche, etwa die extraterritorialen USA-Sanktionen gegen Iran abzuwehren, erfolglos geblieben sind; die Furcht, die Vereinigten Staaten könnten mit weiteren extraterritorialen Sanktionen auch das Rußland- und China-Geschäft deutscher und weiterer europäischer Unternehmen zerstören, hat im vergangenen Jahr zu ersten koordinierten Planungen für Abwehrmaßnahmen geführt.
Hilflos gegen extraterritoriale Sanktionen
Die Suche nach Mitteln, sich in den globalen Machtkämpfen gegen Strafzölle, Sanktionen – nicht zuletzt extraterritoriale – und andere Instrumente ökonomischen Zwangs zu behaupten, dauert in Berlin und Brüssel bereits seit Jahren an. Forciert worden ist sie durch die Erfahrung, den Aggressionen der Trump-Administration auf diesem Feld kaum etwas entgegensetzen zu können. So gelang es nicht, das Iran-Geschäft von Unternehmen aus EU-Staaten gegen die extraterritorialen Iran-Sanktionen der Vereinigten Staaten abzuschirmen: Das eigens dazu geschaffene und mit großem Gestus präsentierte »Finanzvehikel Instex« (Instrument in Support of Trade Exchanges) erwies sich als vollkommen unwirksam.
Die – begründete – Befürchtung, Washington könne mit extraterritorialen Sanktionen auch gegen weitere Länder die Daumenschrauben anziehen und nicht nur das Rußland-, sondern auch das China-Geschäft von Firmen aus EU-Ländern signifikant schädigen, hat die Suche nach Abwehrmitteln im vergangenen Jahr noch weiter verstärkt, umso mehr, als die USA schließlich begannen, mit Sanktionen gegen »Nord Stream 2« die stärkste Macht der EU – die Bundesrepublik Deutschland – unmittelbar aufs Korn zu nehmen.
Das »Anti-Coercion Instrument«
Besondere Aktivitäten hat in diesem Kontext der European Council on Foreign Relations (ECFR) entfaltet. Der Think-Tank mit Hauptsitz in Berlin hat im vergangenen Jahr eine Task Force initiiert, die sich mit der Entwicklung eines Instrumentariums gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen befaßt; von einem »Anti-Coercion Instrument« (Instrument gegen Zwang) ist die Rede. Die Task Force versammelt zusätzlich zu den Experten des ECFR Parlamentarier, Ministerialbeamte und Wirtschaftsvertreter aus mehreren EU-Staaten; involviert sind inzwischen Deutschland, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Schweden und Tschechien.
Mittlerweile ist auch die EU-Kommission selbst in der Sache aktiv; sie orientiert sich dabei, heißt es, an den Vorarbeiten des ECFR. Am 16. September 2020 kündigten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Stellvertreter Maroš Šefčovič an, ein »Instrument« zu schaffen, »das Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten abschreckt und ihnen entgegenwirkt«. Am 23. März 2021 startete die Kommission einen »Konsultationsprozeß«, der Stellungnahmen insbesondere von Wirtschaftsvertretern aufnehmen sollte. Die Frist für das Vorlegen von Stellungnahmen ist am 15. Juni abgelaufen; die Kommission bereitet nun die Vorlage des »Anti-Coercion Instrument« im Herbst, voraussichtlich im Oktober, vor.
Aus der deutschen Wirtschaft sind positive Reaktionen zu hören. So erklärt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): »Die deutsche Industrie begrüßt das Vorhaben«, die »Schaffung eines reaktiven Instruments zur Abschreckung und Erwiderung geoökonomischer Maßnahmen« in die Wege zu leiten. Dies sei unumgänglich, weil »extraterritoriale Sanktionen«, aber auch andere »Maßnahmen gegen europäische Unternehmen« »mehr und mehr« zur »wirtschaftlichen Austragung geopolitischer Auseinandersetzungen« genutzt würden. Das neue Instrument erlaube es, »die europäischen Handelsinteressen zu schützen« – gemeint sind natürlich die Profitinteressen der Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten.
Ein »EU Resilience Office«
Vergangene Woche hat der ECFR ein neues Papier vorgelegt, das Optionen für das künftige »Anti-Coercion Instrument« der EU skizziert. So könne, heißt es, ein »EU Resilience Office« geschaffen werden – eine neue EU-Behörde, die »möglichen Zwang« durch Drittstaaten auf ökonomischer Ebene umfassend analysiere, gegebenenfalls Handlungsoptionen entwickle und diese gemeinsam mit der EU-Kommission der Entscheidungsinstanz – mutmaßlich dem Europäischen Rat, also der Konferenz der Staats- und Regierungschefs der EU – vorlege.
Zu überlegen sei, gegen welche ökonomischen Zwangsmaßnahmen man sich zur Wehr setzen solle; so müsse darüber nachgedacht werden, ob man neben extraterritorialen Sanktionen auch informelle Boykotte mit Gegenmaßnahmen beantworte, wie sie jüngst etwa in China gegen Modemarken aus der EU gestartet worden seien. Sodann sei zu entscheiden, welche Maßnahmen man selbst in Betracht ziehe.
Der ECFR listet unter anderem Investitionsbeschränkungen, Strafzölle, Einschränkungen beim Zugang zum öffentlichen Beschaffungsmarkt in der EU sowie Exportkontrollen auf. Reserviert äußert sich der ECFR zu offenen Gegensanktionen: Für sie seien einstimmige Beschlüsse notwendig, urteilt der Think-Tank; ob diese unter den Mitgliedstaaten tatsächlich zu erreichen seien, sei ungewiß.
Chinas Anti-Sanktions-Gesetze
Der ECFR weist schließlich darauf hin, daß die Lage durch aktuelle Beschlüsse der Volksrepublik China erheblich schwieriger wird. So hat Chinas Regierung nicht nur ein »Blocking Statute« nach EU-Vorbild verabschiedet, das es Unternehmen mit Sitz in China – darunter auch chinesische Standorte europäischer Konzerne – untersagt, gegen die Volksrepublik gerichtete Sanktionen einzuhalten. Darüber hinaus sieht ein weiteres Gesetz Strafen für Firmen vor, die diskriminierende Schritte gegen China einleiten. Beide Gesetze haben das Potential, vor allem deutschen Unternehmen ganz erhebliche Probleme zu bereiten. Auch sie wären ein Fall für ein »EU Resilience Office« und das neue »Anti-Coercion Instrument« der EU.