Die schöne neue Welt von Industrie 3.0/4.0 und die ganz gewöhnliche Ausbeutung
Dieser Tage gab es mindestens zwei Veranstaltungen, die dazu dienten, über die industrielle Revolution zu fabulieren – die eine in Davos, wo die Reichen und Mächtigen die Industrie-4.0-Ideologie hochleben ließen, die andere in der Handelskammer in Luxemburg, wo Kapitalisten und Angestellte des kapitalistischen Staates über die Strategie der dritten industriellen Revolution und darüber plauderten, dass es möglicherweise in den goldenen Zukunftszeiten, die da anbrechen werden, dank der digitalen »Revolution« vielleicht sogar keine Lohnabhängigen mehr geben wird.
Man muss kein Anhänger dieser kapitalistischen Ideologie sein, die ein neues Industriemodell mit paradiesischen Auswirkungen für die Menschheit propagiert, um festzustellen, dass der Fortschritt der Informationstechnologien und die zunehmende Digitalisierung die Arbeitswelt, den Konsum, die Kommunikation und die Kultur und damit unser ganzes Leben bereits heute stark verändern.
Nicht zuletzt die Arbeitswelt ist zunehmend geprägt durch einen fortschreitenden Computereinsatz und informationstechnologisch organisierte Lenkungsprozesse, die allerdings in der Regel auch zu Leistungsverdichtungen und zu mehr Flexibilität für die Schaffenden führen und dazu dienen, die Produktivität zu steigern, deren Ergebnisse dann zum großen Teil in die Taschen einer kleinen Minorität von Managern und Aktionären fließen. Während andererseits immer mehr Menschen ohne Arbeit sind und unter prekären Lebensbedingungen zu leiden haben.
Im Gegensatz zu diesem real existierenden Kapitalismus ist die Ideologie von Industrie-3.0 oder 4.0, die mit »erneuerbaren« Energien, 3D-Druckern und »selbstorganisierenden« Produktions- und Logistiksystemen eine schöne neue Welt in Aussicht stellt, vor allem Propaganda.
Inzwischen gibt es zwar Konzepte über Vernetzungs- und Automatisierungsvorgänge zwischen Maschinen und Rechnern, doch die beschränken sich auf einzelne Produktionsbetriebe und Zulieferer und spielen sich im Planungs- und Experimentierstadium ab.
Abgesehen davon setzt der Kapitalismus selbst einer solchen industriellen Revolution und der Integration aller Kooperations- und Vernetzungsmöglichkeiten enge Grenzen, weil er doch nach dem Prinzip des erbarmungslosen Konkurrenzkampfes funktioniert, der auf vielen Ebenen geführt wird, auch in den Bereichen Automatisierung und Digitalisierung. Ziel bleibt der Maximalprofit, der dem Kapitalist keine andere Wahl lässt, als seine direkten Konkurrenten auszuschalten und die Ausbeutung von Lohnabhängigen zu erhöhen.
Die Industrie-3.0 oder 4.0-»Revolutionen« sind daher wohl eher Propagandamodelle, welche wieder einmal den Grundwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital aus der Welt zaubern sollen, während in der Realität der technologische und digitalen Fortschritt »nachhaltig« dazu missbraucht werden, um die Ausbeutung der Schaffenden fortzusetzen und zu verschärfen und davon abzulenken, dass der Kapitalismus – trotz aller technischen Fortschritte und einer explodierenden Produktivitätsentwicklung – immer weniger in der Lage ist, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen.
Genau darum geht es aber, so dass an der Überwindung des Kapitalismus und an der Vergesellschaftung der Wirtschaft kein Weg vorbeiführt, wenn der technische Fortschritt, die Digitalisierung und die damit einhergehenden Produktivitätssteigerungen und Gewinne für die Schaffenden nutzbar gemacht werden sollen.
Ali Ruckert