Ausland19. August 2023

Italien meldet neuen Negativrekord

35 Prozent der Hochschulabsolventen ohne Arbeit

von Gerhard Feldbauer

Laut Eurostat hat Italien einen weiteren Negativrekord in Europa erreicht. Er betrifft die Hochschulabsolventen, die heute im Alter zwischen 20 und 34 Jahren sind und von denen 35 Prozent keinen Arbeitsplatz finden. Damit ist Italien das letzte unter den 27 Ländern der Europäischen Union, was die Beschäftigungsquote unter neuen Hochschulabsolventen in diesem Alter im Alter angeht, hinter Griechenland (34 %) und Rumänien (30 %). Im Durchschnitt der EU betrifft die Arbeitslosigkeit 18 Prozent der Absolventen von Hochschulen.

Das linke Magazin »Contropiano« weist auf seinem Onlineportal darauf hin, daß in den USA, der Heimat des Neoliberalismus und des »Minimalstaats«, die Zahl der beschäftigten Hochschulabsolventen höher ist als in Italien. Aus den Angaben des staatlichen Amtes für Statistik (Istat) geht hervor, daß im Jahr 2012 die Arbeitslosenquote der Universitätsabsolventen bei 10,8 Prozent lag und rund 304.000 Akademiker auf Arbeitsuche waren, die meisten davon Frauen (185.000). In etwas mehr als zehn Jahren ist die Zahl auf 35 Prozent gestiegen.

Politische Beobachter wie der Sekretär der Partei Kommunistischen Wiedergründung (PRC), Maurizio Acerbo, verweisen auf das Scheitern der neoliberalen Politik der letzten drei Jahrzehnte, die dazu geführt hat, daß Italien einen enormen Teil des Industriegefüges verloren hat und große öffentliche Unternehmen abgebaut wurden. Im Ergebnis von Privatisierungen, Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, unsichere Arbeitsplätzen, niedrigen Löhnen und einer stärkeren Vermögenskonzentration wird es zunehmend schwer, neuen Hochschulabsolventen qualifizierte Arbeit zu bieten.

Acerbo nennt es skandalös, wenn diese Realität in der Öffentlichkeit damit verschleiert wird, daß die jungen Menschen als »Faulpelze« bezeichnet werden. Letztendlich trage der Staat eine wesentliche Verantwortung für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Regierung und ihre Institutionen hätten die Aufgabe, einen Plan zur Schaffung von Arbeitsplätzen vorzulegen, der wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens umfaßt, wie die Planung zur Wiederbelebung der öffentlichen Dienste, zur ökologischen Umgestaltung, im Gesundheitswesen und in der Pflege. Auch Gewerkschaften bringen sich mit ähnlichen Argumenten in Stellung und positionieren sich immer deutlicher gegen die Pläne der Regierung, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen.

Ein Paradoxon ist zum Beispiel, daß in den Einrichtungen im öffentlichen Gesundheitswesen zur Sicherung eines Minimums an Betreuung 30.000 Ärzte fehlen. Die Regierung Meloni hat sich geweigert, im Haushalt 2022 die notwendigen Mittel zur Beseitigung der zahlreichen Mißstände im Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen – nachdem bereits in den Jahren 2000 bis 2021 für den Sektor der öffentlichen Gesundheitsfürsorge jährlich durchschnittlich 2,8 Prozent weniger im Haushalt veranschlagt worden waren. Im Süden des Landes sind erneut Ärzte und medizinisches Personal aus Kuba eingesetzt, die bereits während der Corona-Pandemie in mehreren Teilen Italiens wertwolle Hilfe leisteten.

Studenten haben jahrelang während des Studiums materielle Entbehrungen auf sich genommen, um anschließend einen verantwortungsvollen Platz im Leben einnehmen zu können. Jetzt stehen sie da und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Viele von ihnen überleben nur, weil es allgemein akzeptiert wird, auch im Alter von über 30 Jahren noch zu Hause zu leben, schreibt »Contropiano«. Viele von ihnen verdienten ein gewisses Einkommen nebenbei schwarz. Aber sie können keine Familie gründen, weil man dazu ein gesichertes Einkommen und eine eigene Wohnung braucht.

Zu den Folgen dieser Zustände gehört eine anhaltende Massenauswanderung ins Ausland, die seit Jahren etwa in dem gleichen Ausmaß wie in der Nachkriegszeit anhält, als das Land in Trümmern lag. Von 2012 bis 2020 verlor der Süden 525.000 Einwohner. 2021 stieg diese Zahl gegenüber dem Vorjahr auf 1.423.000 an. 2017 berichtete das EU-Statistikamt, daß in Italien allein 2015 rund 50.000 Italiener unter 40 Jahren auswanderten, knapp die Hälfte von ihnen mit Universitätsabschluß.

Der Abgeordnete des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) Enzo Lattuca, der 2012 an der Universität Bologna einen Master-Abschluß in Rechtswissenschaften und 2017 den Doktortitel in Verfassungsrecht erwarb, schilderte kürzlich, daß knapp ein Drittel seiner Mitschüler ausgewanderten, weil sie keine Anstellung fanden.