Wirtschaft als Waffe
Berlin und Brüssel planen Schaffung neuer Instrumente zur Führung von Wirtschaftskriegen
Mit der Publikation eines detaillierten Strategiepapiers bereiten Berlin und Brüssel die Schaffung eines breiten Instrumentariums zur Führung von Wirtschaftskriegen vor. Anlaß sind nicht zuletzt Sanktionen der USA, von denen Deutschland und die EU direkt oder indirekt getroffen werden und die Unternehmen aus EU-Staaten erheblich schaden.
Das Strategiepapier, das vom European Council on Foreign Relations (ECFR), einer Polit-Denkfabrik mit Hauptsitz in Berlin vorgelegt wurde, schlägt unter anderem die Ernennung eines EU-Sonderbeauftragten für wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen und gezielte Gegensanktionen gegen ausländische Personen oder Branchen vor.
Die nächste Runde
Der Sanktionskampf um »Nord Stream 2« geht in die nächste Runde. Am Dienstag vergangener Woche hat das Außenministerium der USA eine neue Richtlinie veröffentlicht, die die in Kraft befindlichen Sanktionen gegen die Fertigstellung der Erdgaspipeline (PEESA) ausweitet. Demnach soll in Zukunft auch mit Zwangsmaßnahmen belegt werden, wer aktiv oder durch die Bereitstellung von Material oder Räumlichkeiten dazu beiträgt, die zur Verlegung der Pipeline benötigten Schiffe für die Verlegearbeiten auszurüsten, oder wer dies ganz oder auch nur teilweise finanziert, schrieb das »Wall Street Journal« am 20. Oktober.
Auslöser für die erneute Verschärfung ist laut Einschätzung von Insidern, daß das wichtigste russische Verlegeschiff, die »Akademik Tscherski«, zu Monatsbeginn den Hafen Mukran auf Rügen verlassen hat und nun offenbar vor Kaliningrad liegt. Nicht ganz klar ist, was dort geschieht; während manche von Testfahrten ausgehen, spekulieren Experten, das Schiff habe Mukran womöglich verlassen, um dortige Unternehmen und staatliche Stellen von den USA-Sanktionsdrohungen zu entlasten. Allerdings muß als fraglich gelten, ob das gelingen kann: Mukran galt bislang als logistische Basis für den Bau der Erdgasleitung als unverzichtbar.
»Wir entscheiden selbst«
Die deutsche Bundesregierung, die den Bau der Pipeline zwar stets unterstützt, sich mit klaren öffentlichen Stellungnahmen aber häufig zurückgehalten hatte, hat zuletzt eindeutig Position bezogen. »Über unsere Energiepolitik und Energieversorgung entscheiden wir hier in Europa«, bekundete Außenminister Heiko Maas am Wochenende: Er gehe verläßlich »davon aus, daß ‚Nord Stream 2’ zu Ende gebaut wird«; »die Frage« sei nur, »wann«.
Zuvor hatte Berlin versucht, Washington mit einem etwas eigentümlichen Deal umzustimmen: Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte laut Berichten in einem Schreiben an seinen US-amerikanischen Amtskollegen Steven Mnuchin angeboten, die Mittel, die für den Bau zweier Flüssiggasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven vorgesehen seien, »massiv durch die Bereitstellung von bis zu 1 Milliarde Euro zu erhöhen« und damit den Bau zu beschleunigen, hatte das Hamburger Wochenblatt »Die Zeit« am 16. September berichtet.
Über die Terminals könnte in Zukunft Flüssiggas aus den USA importiert werden, freilich auch Gas aus anderen Ländern, etwa Qatar; sogar Rußland wäre als Flüssiggaslieferant denkbar. Der Bau der Terminals ist ohnehin längst fest eingeplant; die in Aussicht gestellte Milliarde Euro würde also allenfalls etwas früher ausgegeben als vorgesehen. Washington hat das Berliner Angebot offenkundig ignoriert.
Kampf gegen USA-Sanktionen
Während sich der Sanktionskampf um »Nord Stream 2« weiter zuspitzt, bereiten Berlin und Brüssel im Hintergrund den Aufbau eines umfassenden Instrumentariums für zukünftige Wirtschaftskriege vor. Ausgangspunkt ist die Feststellung, daß die Auseinandersetzung um die Erdgaspipeline nicht isoliert, sondern vielmehr ein Element umfassender ökonomischer Attacken ist, mit denen zur Zeit vor allem die USA nicht nur China, sondern auch die EU überziehen. Zu den US-Maßnahmen, denen sich die EU ausgesetzt sieht, zählen nicht nur Strafzölle sowie die Drohung mit weiteren Zwangsabgaben etwa auf Kfz-Exporte aus EU-Staaten in die USA, sondern auch extraterritoriale Sanktionen der USA gegen Drittstaaten wie Iran, die jegliches Geschäft von Firmen aus EU-Staaten mit den betroffenen Ländern so gut wie unmöglich machen.
Der Versuch, mit dem »Instrument in Support of Trade Exchanges« (INSTEX) ein Finanzvehikel zu schaffen, das es Unternehmen aus der EU möglich macht, die USA-Sanktionen zu umgehen, ist faktisch gescheitert. Dies gilt vor allem auch deswegen als fatal, weil zur Zeit in Wirtschaftskreisen massive Befürchtungen kursieren, Washington könne mit extraterritorialen Zwangsmaßnahmen gegen China das faktisch unersetzliche Chinageschäft von Unternehmen aus der EU torpedieren.
Um für die Wirtschaftskriege der Zukunft wirksame Instrumente zu entwickeln, hat in den vergangenen Monaten eine Task Force des European Council on Foreign Relations (ECFR) mit Hauptsitz in Berlin ein umfangreiches Papier mit konkreten Handlungsoptionen erstellt, das jetzt unter dem Titel »Europas wirtschaftliche Souveränität verteidigen« veröffentlicht worden ist. Die Task Force, deren Kern Mitarbeiter des ECFR bilden, ist dabei, wie berichtet wird, von den Regierungen Deutschlands und Frankreichs unterstützt worden.
Beteiligt waren Spitzenbeamte, zudem Abgeordnete aus dem deutschen Bundestag und aus der französischen Assemblée nationale sowie Experten aus Wirtschaftsverbänden; die meisten wollen nicht namentlich erwähnt werden, weil sie Repressalien fürchten. Bekannt sind bisher nur die Bundestagsabgeordneten Stefan Rouenhoff (CDU), Andreas Nick (CDU) und Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, sowie die zwei Abgeordneten der französischen Assemblée nationale Caroline Janvier und Raphaël Gauvain (La République en marche/LREM, die Partei von Präsident Emmanuel Macron).
Gegensanktionen
In ihrem Strategiepapier schlägt die ECFR-Task Force unter anderem vor, eine »Europäische Exportbank« zu gründen, um künftig – erfolgreicher als mit dem INSTEX – den Zahlungsverkehr von Unternehmen aus EU-Ländern unabhängig von Sanktionen anderer Mächte durchführen zu können. Zudem plädiert sie für die Schaffung einer EU-Behörde, die sich gezielt mit außenwirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen befassen soll; die Institution könne von einem neu zu installierenden EU-Sonderbeauftragten für Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen geleitet werden, heißt es in dem neuen Strategiepapier.
Vorgeschlagen wird außerdem, einen »digitalen Euro« zu schaffen, um der Nutzung der globalen Dominanz des US-Dollars durch Washington zukünftig etwas entgegenzusetzen und damit »Europas Souveränität« systematisch zu stärken. Neben diversen weiteren Maßnahmen spricht sich die ECFR-Task Force auch dafür aus, gegebenenfalls eigene Gegensanktionen zu verhängen. Sie sollen sich gegen Personen, aber auch gegen Branchen richten können.
»Folterwerkzeuge«
»Wir müssen alle Folterwerkzeuge auf den Tisch legen«, wird der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, zitiert – in Anlehnung an ein entsprechendes Zitat des damaligen Chefs der Eurogruppe Jean-Claude Juncker vom März 2010, der Zeit der sogenannten Griechenland-Krise. Der CDU-Abgeordnete Andreas Nick erläutert laut einem Bericht im »Handelsblatt« vom 21. Oktober: »Die EU ist keine große Militärmacht, gerade deshalb sollte sie ihr wirtschaftliches Gewicht nutzen.«
Das ECFR-Strategiepapier soll jetzt in den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten wie auch in den EU-Gremien diskutiert werden. In Brüssel werde es, so heißt es, vermutlich auf Zustimmung stoßen, denn dort würden vergleichbare Überlegungen angestellt. Valdis Dombrovskis, Kommissar für Handel, wird mit der einschlägigen Aussage zitiert: »Wir arbeiten derzeit an der Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit und prüfen verschiedene Optionen«.
German Foreign Policy
Die Ostsee-Pipeline »Nord Stream 2« bleibt ein Zankapfel. Unser Foto zeigt das russische Verlegeschiff »Akademik Tscher
ski« (M) am 11. September 2020 im Hafen Mukran auf der Insel Rügen (Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa)