Die Bilanztricks der Lehman Brothers
Investmentbank kaschierte ihre finanzielle Schieflage
Die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers stand schon Monate vor ihrer Insolvenz auf wackeligen Beinen. Mit Bilanz-tricks kaschierte das Institut seine Probleme und führte so Anleger, Geschäftspartner und Aufsichtsbehörden in die Irre. Zu diesem Ergebnis kommt ein 2200 Seiten starker Untersuchungsbericht, den der zuständige Insolvenzrichter vor einigen Tagen in New York freigab.
Der Ermittler Anton Valukas kommt zu dem Schluß, daß die Investmentbanker mit geschickten Buchungen einen Teil der Risiken aus den Büchern verschwinden ließen. Nach außen hin präsentierte sich Lehman Brothers als gesundes Unternehmen, während es intern brodelte.
Die Pleite der Investmentbank im September 2008 gilt als Höhepunkt der Finanzkrise. Ab diesem Zeitpunkt verloren die Banken jegliches Vertrauen untereinander. Eine Kettenreaktion an Pleiten auf dem Finanzmarkt setzte ein. Nur das massive Eingreifen der Regierungen hielt die weltweiten Märkte notdürftig am Laufen. Die Zeche zahlen die Bürger bis heute.
Das Ergebnis der mehr als einjährigen Recherche von Rechtsanwalt Valukas wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die damalige Bankführung, sondern auch auf die Buchprüfer von Ernst & Young. Ihnen wirft der Ermittler vor, daß sie von den Bilanztricks gewußt, aber nichts unternommen hätten.
Lehman Brothers hatte den Großteil des eigenen Geldes in langfristige Anlagen gesteckt. Um für neue Geschäfte flüssig zu bleiben, nahm die Bank mit diesen Vermögenswerten als Sicherheit kurzfristige Kredite auf. Dabei handelt es sich um sogenannte Repo-Geschäfte, ein eigentlich normaler Vorgang in der Finanzwelt. Diese Rückkaufgeschäfte (Repurchase Operation) sind kurzfristige Finanzierungsgeschäfte, die manchmal nur über Nacht laufen. Dabei vereinbaren zwei Parteien den Verkauf eines Vermögenswertes (meist von Wertpapieren) mit gleichzeitiger Berechtigung und Verpflichtung des Verkäufers, den Vermögensgegenstand zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückzukaufen. Der Käufer erhält zudem Zinsen dafür. Banken können sich damit auf dem Geldmarkt kurzfristig Liquidität bei anderen Banken besorgen.
Unter dem Codenamen »Repo 105« pervertierten die Lehman-Banker das Verfahren jedoch: Sie gaben für die Kredite höhere Sicherheiten, als sie hätten geben müssen. In den Büchern wurden Verkäufe verbucht, obwohl die Vermögenswerte im Besitz der Bank blieben. Der Schuldenberg schrumpfte damit rein optisch um 50 Milliarden Dollar. Tatsächlich handelte es sich nur um einen Kredit, den die Bank manchmal nur Tage später wieder zurückzahlen mußte.
Selbst intern wurden Zweifel an dieser Praxis laut. In einer E-Mail bezeichnete ein hochrangiger Lehman-Manager das Ganze als »Augenwischerei«. Und der sogenannte Bilanzpapst des Unternehmens, Herbert McDade, räumte in einer anderen E-Mail ein: »Ich weiß sehr wohl, daß es nur eine andere Droge ist, auf der wir sind.« Bankchef Fuld selbst bestreitet, von der Praxis gewußt zu haben.
Für seinen Bericht sichteten Ermittler Valukas und sein Stab mehrere Millionen Dokumente. Man führte mehr als 100 Interviews, unter anderem mit dem aktuellen Finanzminister Timothy Geithner und Notenbank-Chef Ben Bernanke. Die Untersuchung soll als Grundlage für anstehende Gerichtsverfahren dienen.
Lehman Brothers hatte sich wie viele andere Finanzunternehmen mit kompliziert konstruierten Hypothekenpapieren verspekuliert. Bereits ein Jahr vor dem Zusammenbruch deuteten sich die Probleme auf den globalen Märkten an und wuchsen dann rapide. Die Banken fingen an, sich gegenseitig zu mißtrauen. Am Ende, auch das stellte Valukas fest, verlangten unter anderem die Citigroup und JP Morgan von Lehman derart hohe Sicherheiten für neue Kredite, daß die Investmentbank kapitulieren mußte. Ihr ging das Geld aus.
Die Bank mußte am 15. September 2008 Insolvenz anmelden. Wenige Tage danach waren nur noch 170 Mitarbeiter für Lehman Brothers tätig, 24.988 wurden in wenigen Tagen gefeuert. Der Schaden, der durch diese Insolvenz hervorgerufen wurde, wird auf 50 bis 75 Milliarden US-Dollar geschätzt. (Agenturen/ND/ZLV)