Harter Wintereinbruch in Syrien
Schneefall und winterliche Minusgrade machen den Menschen in Syrien das Leben schwer. Westliche Sanktionen verschärfen die horrende Wirtschafts- und Energiekrise in dem Land.
Die deutsche Welthungerhilfe und UNO-Organisationen warnten vor »Horror-Szenarien« in den Lagern der inlandsvertriebenen Syrer in Idlib und nördlich von Aleppo. Diese Gebiete stehen zumeist unter der Kontrolle der Türkei und von bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen, die von der Türkei und anderen Staaten unterstützt werden. Die nach UNO-Angaben rund 2,8 Millionen dort lebenden Menschen werden von der UNO aus der Türkei mit humanitärer Hilfe versorgt.
UNO-Geberländer reduzieren Hilfe
Der stellvertretende UNO-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, Mark Cutts, sprach am Montag in einer Videobotschaft von »Horror-Szenen«. Die UNO-Helfer hätten Menschen aus Zelten gezogen, die unter Schneemassen eingestürzt seien. Weil es zu wenig Schaufeln gebe, müßten die Menschen den Schnee mit bloßen Händen wegräumen. Cutts beklagte, daß die UNO ihnen wegen Geldmangels nicht die notwendige Hilfe zur Verfügung stellen könne. Die humanitäre UNO-Nothilfe für Syrien habe 2021 weniger als die Hälfte des erforderlichen Geldes bekommen.
Die syrische Regierung ordnete wegen einer massiven Energieknappheit am vergangenen Wochenende die Schließung aller öffentlichen Einrichtungen an. Der Staat selber kann nicht genügend Energieträger beschaffen, so daß die Elektrizitätswerke, die funktionieren, hoffnungslos überlastet sind. Andere Stromerzeuger benötigen Ersatzteile, die Syrien ebenfalls nicht oder nur auf Umwegen teuer importieren kann. Der Mangel führt zu Schmuggel und Schwarzmarktgeschäften. Die Bevölkerung, die zumeist mit Strom, Heizöl oder Gas heizt, verfügt jedoch nicht über das nötige Geld, um Öl oder Gas auf dem Schwarzmarkt zu kaufen.
Westliche Sanktionen verschärfen die Krise
Einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen der Europäischen Union und das »Cäsar-Gesetz« der USA, das 2020 in Kraft trat, sind wesentliche Gründe für die massive Energieknappheit. Die westlichen Sanktionen verhindern, daß Syrien Öl und Ersatzteile für den Energiesektor im Ausland kaufen kann. Andererseits werden die im Krieg zerstörten syrischen Ölfelder im Nordosten des Landes unter Verletzung des Völkerrechts von USA-Truppen besetzt gehalten. Mit Unterstützung der USA und über Firmen aus dem Nordirak und aus der Türkei konnten in den von regierungsfeindlichen Truppen besetzten Gebieten einige Förderanlagen wieder in Betrieb genommen werden. Das so gewonnene Öl wird von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) für die Bevölkerung in den Orten im syrischen Nordosten genutzt, die von den SDF kontrolliert werden. Wöchentlich werden zudem große Mengen Öl in Dutzenden Tanklastwagen aus dem Nordosten Syriens in Richtung Nordirak und Türkei geschmuggelt, um dort verkauft zu werden. Das Geld fließt in die Taschen privater Unternehmer, die sich damit Einfluß auf die jeweiligen politischen Akteure verschaffen.
Auch die syrische Regierung ist gezwungen, sich auf ähnliche Weise mit Öl zu versorgen. Geliefert wird es von der Firma der aus Rakka stammenden Brüder Katerji, die es im Nordosten kaufen und es von den syrischen Ölfeldern zur großen Raffinerie in Homs transportieren. Selbst in das von dschihadistischen Gruppen und der Türkei kontrollierte Idlib, sowie in die türkisch kontrollierten Dschihadistengebiete im Norden von Aleppo, Azaz und Afrin gelangt das aus dem Nordosten Syriens geschmuggelte Öl.
Gewinner und Verlierer
Während Schmuggler und politische Akteure in Syrien und außerhalb von der Energiekrise des Landes profitieren, verschärft sich die humanitäre und wirtschaftliche Lage für die einfache Bevölkerung. So sehr im östlichen Mittelmeerraum nach Jahren von Trockenheit und Dürre Regen und Schnee willkommen sind, so sehr verschärft der Winter für die von Krieg und Flucht gezeichneten Menschen den Alltag. Die UNO und private Hilfsorganisationen heben besonders die schwierige Lage in Idlib und nördlich von Aleppo hervor, doch Klagen im Ausland über die Lage der Menschen in den Teilen des Landes, die unter Kontrolle der rechtmäßigen syrischen Regierung stehen, sind rar. Alle Syrer in allen Teilen des Landes sind von der Kälte, vom Schnee, von der Energieknappheit und der horrenden Wirtschaftskrise betroffen.
Mit der schwierigen politischen und humanitären Lage in Syrien befaßte sich am Mittwochnachmittag (Ortszeit New York) routinemäßig erneut der UNO-Sicherheitsrat. Die in Kälte und Regen ausharrende Bevölkerung des Landes erwartet sich von den Beratungen schon lange keine Erleichterung mehr für ihren Alltag.