Ausland20. Dezember 2023

Die künftige Ostfront

In einer Reihe vernetzter Manöver probt die NATO ab Frühjahr 2024 den Krieg gegen Rußland

von German Foreign Policy

Die NATO wird Anfang kommenden Jahres vier Monate lang einen umfassenden Krieg gegen Rußland proben. Dazu vernetzt die NATO mehrere Großmanöver, Übungen und Teilübungen zu einem simulierten »Schlachtfeldnetzwerk« an einer künftigen Ostfront.

Laut Angaben der deutschen Bundeswehr ist das Großmanöver »Quadriga 2024«, bei dem Deutschland im Mittelpunkt steht, der deutsche Beitrag zu der parallel laufenden übergeordneten NATO-Kriegsübung »Steadfast Defender«, in deren Rahmen das westliche Militärbündnis mehrere zehntausend Soldaten aller NATO-Staaten nach Osteuropa verlegen und unter anderem in Norwegen, Litauen, Polen, Deutschland, Ungarn und Rumänien den Landkrieg gegen Rußland trainieren will.

Laut bisher vorliegenden Berichten werden die NATO-Streitkräfte dabei erstmals auf der Grundlage realer geografischer Daten den Krieg üben. Auch der simulierte Feind wird, anders als bei Kriegsübungen sonst üblich, offen benannt: eine von Rußland geführte Koalition. »Quadriga 2024« soll, so heißt es bei der Bundeswehr, »insbesondere in der deutschen Öffentlichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger sichtbar« sein.

»Quadriga 2024«

Die Bundesrepublik steht, wie die Bundeswehr auf ihrer Internetseite mitteilt, »im Mittelpunkt« des von der NATO durchgeführten Großmanövers »Quadriga 2024«. Der Name der Kriegsübung verweise, so heißt es weiter, auf den Streitwagen, die Quadriga, auf dem Brandenburger Tor, die ein »Symbol für Deutschlands Freiheit, Einigung und Stärke« sei. Insgesamt 12.000 Soldaten werden nach Angaben der Bundeswehr die »Verlegung von nationalen und multinationalen Landstreitkräften« trainieren; dies soll »insbesondere in der deutschen Öffentlichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger sichtbar« sein. Wieviele von den 12.000 Militärs deutsche Soldaten sein werden, ist bislang nicht öffentlich bekannt.

Die Bundeswehr wird sich mit allen Teilstreitkräften an dem Manöver beteiligen. Den offiziellen Start der Übung kündigt die Bundeswehr für den Februar an. Die militärischen Aktivitäten sollen bis in den Mai 2024 andauern.

Militärdrehscheibe Deutschland

Mit der ungewöhnlich langen Dauer von Quadriga 2024 will die Bundeswehr den »Einsatz und das Führen von Truppen über einen längeren Zeitraum« trainieren. Damit hoffen die deutschen Militärs, ihre »Fähigkeiten zur schnellen Verlegung eigener Kräfte an die NATO-Ostflanke nach Norwegen, Litauen, Rumänien oder Ungarn« zu verbessern – von der »Alarmierung« über den »Aufmarsch« »bis zum multinationalen Gefecht« an einer künftigen Ostfront.

Die deutsche Armee will beispielsweise das Absichern von »Marschwegen« trainieren – auch für den »Transfer von Partner-Streitkräften« und deren Waffen durch die Bundesrepublik. Mit »Quadriga 2024« unterstreicht Deutschland seinen Anspruch, eine »riesige Drehschreibe« für die »Truppenaufmärsche« des NATO-Blocks an seiner Ostflanke zu sein. Damit demonstriere die Bundesrepublik ihre »Leistungsfähigkeit« als NATO-Partner und übernehme »Führungsverantwortung«, heißt es.

Von der Funktion als Drehscheibe und logistische Schaltzentrale für die transatlantischen Truppenbewegungen in Richtung Ukraine und Rußland erhofft Berlin sich einen Bedeutungszuwachs innerhalb der NATO.

Manöverring
um Rußland

»Quadriga 2024« ist nicht das einzige Manöver, das die NATO im Frühjahr abhalten wird. Es ist in ein sogenanntes Übungscluster eingeflochten – ein Netz ineinandergreifender Manöver, das sich zeitlich über fünf Monate und räumlich von Norwegen bis nach Rumänien entlang der gesamten russischen Westgrenze erstreckt.

»Quadriga« selbst setzt sich zusammen aus vier Teilübungen. Von Mitte bis Ende Februar wird die 1. Panzerdivision der Bundeswehr in dem »Grand Center« genannten ersten Teil der Kriegsübung in Deutschland, Polen und Litauen trainieren. In die 1. Panzerdivision hatten Berlin und Den Haag erst im März dieses Jahres die letzte niederländische Heeresbrigade eingegliedert.

Von Mitte Februar bis Mitte März trainieren die Division Schnelle Kräfte und die Gebirgsjägerbrigade 23 in der Teilübung Grand North in Norwegen die Kriegsführung unter extremen Wetterbedingungen. Von Ende April bis Ende Mai werden deutsche Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte »die schnelle Verlegung und den Einsatz« in Ungarn und Rumänien proben. Als »Höhepunkt« von Quadriga 2024 gilt laut Angaben Bundeswehr die Teilübung Grand Quadriga im Mai. Dabei trainiert die 10. Panzerdivision »die Verlegung und den geschlossenen mechanisierten Einsatz mit Kampf- und Schützenpanzern« in Litauen.

Ein
»Schlachtfeldnetzwerk«

Die Teilübungen von »Quadriga 2024« münden wiederum in Manöver anderer NATO-Staaten. Von »Grand Center« werden deutsche Soldaten weiterziehen, um an dem polnischen Manöver »Dragon« und an der US-amerikanischen Übung »Saber Strike« teilzunehmen. »Grand North« wird übergehen in das Manöver »Nordic Response«, »Grand South« in »Swift Response«. Mit diesem Cluster simuliert die NATO ein »Schlachtfeldnetzwerk« entlang der russischen Westgrenze.

Die Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Manöver und die Staffelung der eingesetzten Truppen seien eine »enorme Herausforderung«, erklärt die Bundeswehr. Die Verschachtelung der Truppenbewegungen in teilweise nahtlos ineinander übergehende oder sich überlappende Einzelmanöver erschwert eine realistische Einschätzung über das tatsächliche Ausmaß des Aufmarsches.

»Bereit zu kämpfen«

»Quadriga 2024« ist der deutsche Beitrag zum NATO-Großmanöver »Steadfast Defender«. Dabei werden die USA Truppen nach Europa verlegen und dann gemeinsam mit sämtlichen NATO-Mitgliedern an der Ostflanke den »Einsatz von Landstreitkräften« in einem Krieg gegen Rußland proben.

Mehr als 41.000 NATO-Soldaten trainieren dabei einen Waffengang gegen »einen Feind, der einer von Rußland geführten Koalition nachempfunden ist«, berichtet die »Financial Times« bereits am 9. November. Dabei verwendet die NATO nach eigenen Angaben zum ersten Mal echte geografische Daten aus Osteuropa, um ihren Truppen »ein realistischeres Szenario« vom potenziellen zukünftigen Einsatzgebiet zu bieten.

NATO-Mitarbeiter äußerten gegenüber der US-amerikanischen Presse, mit dem Manöver wolle das Kriegsbündnis Moskau zeigen, daß es »bereit« sei »„zu kämpfen«.