Luxemburg22. August 2019

Soziale Ungleichheiten in Luxemburg (8)

Die Arbeitsarmut wächst

Arbeitsarmut (»Working Poor«) ist ein Phänomen, das ursprünglich in den USA auftrat, dem Land, das nicht zu Unrecht historisch als Leuchtturm des Kapitalismus gilt, wenn es darum geht, die organisierte Arbeiterbewegung mit allen Mitteln zu bekämpfen und soziale Rechte einzuschränken.

Aber inzwischen hat das Phänomen der »Working Poor« längst die Länder der Europäischen Union erreicht, und auch in Luxemburg ist es keineswegs so, dass Arbeit in allen Fällen vor Armut schützt.

In ihrer Studie »Sozialpanorama 2019« hält die »Chambre des Salariés« fest, dass im Jahr 2017 insgesamt 17,4 Prozent der Teilzeitbeschäftigten und 12.2 Prozent der Vollzeitbeschäftigten einem Armutsrisiko ausgesetzt waren. Damit ist das reichste EU-Land Spitzenreiter bei der Arbeitsarmut der Vollzeitbeschäftigten in der Eurozone.
Die Arbeitsarmut in Luxemburg nahm in den vergangenen Jahren deutlich zu. Daraus kann geschlossen werden, dass immer mehr Beschäftigte gezwungen sind, ihre Arbeitskraft unter ihrem Wert zu verkaufen und daher Löhne beziehen, die im Vergleich zum geschaffenen Mehrwert zu niedrig sind, so dass sie in Verhältnissen leben müssen, die sehr schwierig sind.

In Belgien, Deutschland und Frankreich nahm die Arbeitsarmut zwischen 2010 und 2017 auch zu, aber in Luxemburg wuchs sie mit einem Durchschnitt von 3 Prozentpunkten bei den Vollzeitbeschäftigten und 5 Prozentpunkten bei den Teilzeitbeschäftigten doppelt so schnell wie in Belgien und Frankreich.

Nicht alle Beschäftigtenkategorien sind in gleichem Maße von Arbeitsarmut betroffen. Bei den Lohnabhängigen betrug dieser Anteil 13,2 Prozent im Jahr 2017, bei den Selbständigen, darunter viele Scheinselbständige, hingegen 22,5 Prozent im gleichen Jahr.

Aus der Studie geht hervor, dass die Hälfte der Lohnabhängigen, die von Arbeitsarmut betroffen sind, Löhne haben, die relativ nahe an den Medianlohn herankommen, so dass eine angemessene, strukturelle Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes sie aus der Arbeitsarmut herausholen würde.

Um das zu erreichen würde es genügen, den Nachholbedarf, der sich während der vergangenen Jahre aufgestaut hatte, zu erfüllen und den gesetzlichen Mindestlohn um 20 Prozent zu erhöhen, wie das die KPL fordert. Die Anpassung, die rückwirkend auf den 1. Januar 2018 erfolgte und zu allem Überdruss nur zu einem kleinen Teil von den Unternehmern getragen wird, reicht dazu nicht aus.

Unzufriedenheit wächst, Burnout und Mobbing nehmen zu

Aus der Studie der Salariatskammer geht hervor, dass 2014 und während der nachfolgenden Jahre die Zufriedenheitsrate der Lohnabhängigen was die Arbeitsbedingungen angeht, in etwa gleich blieb (zwischen 64,7 und 65,5 Punkten), 2018 aber auf 60,6 Punkte abstürzte.

Parallel dazu nahm die Unzufriedenheit über das wachsende Ungleichgewicht zwischen dem Arbeits- und dem Privatleben zu. Jeder vierte Lohnabhängige hatte 2018 manchmal Schwierigkeiten Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bekommen, jeder 10. oft und fünf Prozent fortwährend.

Vor allem nahmen auch die Gesundheitsprobleme bei allen Altersschichten zu, aber auch das »Burnout-Syndrom« als Reaktion auf andauernden Stress und Überbelastung am Arbeitsplatz.

Immer unzufriedener werden die Lohnabhängigen mit der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse. Auch haben sie in zunehmendem Maße den Eindruck, dass sie bei Entscheidungen darüber, wie sie ihre Arbeit ausführen sollen, immer weniger Mitspracherecht haben.

Ein weiterer Grund, weshalb die Unzufriedenheit über die Arbeitsbedingungen wächst, ist Mobbing, systematisches seelisches Schikanieren, Kompetenzentzug, die Zuteilung sinnloser Arbeitsaufgaben und soziale Isolierung am Arbeitsplatz. Zwischen 2014 und 2018 wurde ein deutlicher Anstieg von Mobbing festgestellt.

Mit der 8. Folge wird diese kleine Serie über soziale Ungleichheiten in Luxemburg abgeschlossen. Die Studie »Sozialpanorama« der »Chambre des Salariés«, die 150 Seiten umfasst, ist in der Tat eine wahre Fundgrube, und es ist ein Verdienst der Salariatskammer, dass diese und andere Studien überhaupt zustande kommen. Allerdings sind die wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge recht kompliziert, und die französische Sprache macht es für Luxemburger Lohnabhängige nicht leichter, diese Zusammenhänge zu erfassen.

A.R.

Im Jahr 2017 waren insgesamt 17,4 Prozent der Teilzeitbeschäftigten und 12.2 Prozent der Vollzeitbeschäftigten einem Armutsrisiko ausgesetzt