Kaleidoskop14. Januar 2022

Giglio gedenkt der Kreuzfahrtkatastrophe vor zehn Jahren

von dpa/ZLV

Erst ist da dieser Knall. Das Kreuzfahrtschiff »Costa Concordia« vibriert, Reisende halten sich am Mobiliar fest, Geschirr fällt zu Boden, dann geht das Licht aus. Mehr als 4.220 Menschen an Bord ahnen noch nichts von der Katastrophe, die sie in den nächsten Stunden erleben werden. Auf der Brücke können der Kapitän Francesco Schettino und seine Offiziere nicht fassen, einen Felsen gerammt und ihr Schiff auf der Seite aufgeschlitzt zu haben.

Es ist ein fataler Fehler, der am 13. Januar 2012 32 Menschen das Leben kosten wird. Am Donnerstag jährten sich die Havarie und der Teiluntergang der »Costa Concordia« vor der kleinen italienischen Mittelmeerinsel Giglio zum zehnten Mal.

Zum Jahrestag gedachte die Insel des Unglücks. Ein Kranz wurde niedergelegt vor der Marienstatue, die zu Ehren der Opfer im Hafen aufgestellt ist, daneben stehen auf einer Tafel die Namen der 32 Toten. Am Abend um 21.45 Uhr sollten im Hafen Sirenen aufheulen – so wie jedes Jahr am 13. Januar. Um diese Uhrzeit vor zehn Jahren nahm eines der größten Kreuzfahrtunglücke der Geschichte seinen Lauf.

Betroffene oder Angehörige waren nur wenige gekommen, unter anderem wegen Corona. Für viele sei die Vorstellung, nach Giglio zu kommen, zu bedrückend, sagte Hans Reinhardt. Der Rechtsanwalt betreute 30 Passagiere der »Costa Concordia«, handelte Schadenersatz aus und trat im Strafprozeß gegen Kapitän Schettino als Nebenkläger auf. Die Verfahren seien abgewickelt, sagt er der Deutschen Presse-Agentur.

Die meisten Passagiere haben ein Schadenersatzangebot über 14.000 Euro pro Person angenommen. Das Unternehmen Costa Crociere gab schon 2015 an, insgesamt über 80 Millionen Euro Schadenersatz gezahlt zu haben an die Gäste und auch an Besatzungsmitglieder der »Concordia«. Vergessen ist der Freitag, der 13. Januar 2012 deswegen aber noch lange nicht. »Manche sagen, es käme ihnen vor, als sei das gestern gewesen«, erzählte Anwalt Reinhardt.

Die »Costa Concordia« war am Abend von Civitavecchia nahe Rom aus in See gestochen. Aus Prestigegründen – oder Angeberei – wollte Schettino sie so nah wie möglich an Giglio bringen, um den Hafen zu »grüßen« und den Gästen ein hübsches Fotomotiv zu bieten. Was sonst oft klappte, ging schief: Das fast 300 Meter lange Schiff schrammte unter Wasser einen Felsvorsprung, der schlitzte den Schiffsrumpf rund 70 Meter auf.

Wasser strömte ein, das Schiff war schnell manövrierunfähig. Nur weil der Wind die »Concordia« gegen die Insel trieb, kam sie dort auf einem Unterwassersockel mit starker Schräglage zum Liegen. Hätte der Wind anders geweht, wäre sie aufs offene Meer getrieben und wohl komplett gesunken – mit noch schlimmeren Opferzahlen.

Die Passagiere und die italienische Küstenwache wurden eine Dreiviertelstunde lang im Unklaren gelassen. Als Crewmitglieder schon mit Schwimmwesten durch die Gänge liefen, sollten die Reisenden in den Kabinen bleiben und Ruhe bewahren. Erst gegen 22.30 Uhr rief man die Passagiere für die Evakuierung an Deck und meldete den Behörden den Notstand.

Das Schiff neigte sich immer mehr, die Lage wurde chaotischer. Manche Passagiere konnten in die Rettungsboote steigen und in den Hafen von Giglio fahren. Andere sprangen ins Wasser und schwammen die 100 Meter an Land. Viele aber waren im Rumpf eingeschlossen.

Der deutsche Passagier Matthias Hanke sagte in einer Sky-Dokumentation, wie er und sein Kumpel zwei älteren Frauen im Schiffsinneren halfen. Als sie in einem Gang bei hüfthohem Wasser feststeckten, barsten neben ihnen die Türen des Fahrstuhls, es kam zu einem Sog. »Da gab's einen kurzen, heftigen Schrei von einer von den beiden Damen. Und da waren sie weg«, schilderte Hanke. Die zwei Freunde konnten sich retten.

Unter den Opfern waren viele Senioren, mehrere Crewmitglieder und auch ein sechsjähriges Mädchen. Einige Tote wurden von Tauchern erst in den Tagen nach dem Unglück gefunden, das 32. und letzte Opfer sogar erst beim Abwracken des Schiffs im August 2014 in Genua. Dorthin war die Concordia in einer aufwendigen Bergungsaktion gebracht worden.

Neben der Trauer rückte schnell die Schuldfrage um Kapitän Schettino in den Fokus. Der damals 51-Jährige wurde vor allem dafür kritisiert, das Schiff noch während der Evakuierung verlassen zu haben. Nachdem er mit einem Rettungsboot auf eine Mole gelangt war, forderte ihn der Einsatzleiter der Küstenwache am Telefon zur Rückkehr auf. »Gehen Sie an Bord, verdammt noch mal!«, brüllte Gregorio de Falco.

Die Aufzeichnung des Telefonats zementierte das Bild eines Kapitäns, der einerseits Großmaul und Frauenheld war, andererseits aber ein Feigling. Letztlich war Schettino der einzige, der ins Gefängnis mußte. Unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung wurde er im Februar 2015 in Grosseto in der Toskana zu 16 Jahren Haft verurteilt. Ein Berufungsgericht und auch das höchste italienische Gericht in Rom bestätigten später das Urteil.