Ausland22. Oktober 2021

»Im Geiste Mandelas«

USA: Tribunal für Menschenrechtsverletzungen widmet sich politischen Gefangenen im eigenen Land

von Jürgen Heiser

Unter dem Motto »In the Spirit of Mandela« findet ab heute in New York City ein viertägiges internationales Tribunal über Menschenrechtsverletzungen in den USA statt. Im Vordergrund wird dabei die Situation der schwarzen, hispanischen und indigenen Bevölkerung stehen. Die vor drei Jahren gegründete Initiative für das Tribunal strebt an, »die internationale Aufmerksamkeit auf die Verletzung der Menschenrechte der in den USA inhaftierten politischen Gefangenen« zu lenken, die wegen ihres Engagements gegen die Negierung der Rechte dieser Bevölkerungsgruppen zum Teil seit Jahrzehnten eingesperrt sind.

Der Bezug auf den Geist Nelson Mandelas, den in der Gefangenschaft des Apartheidstaats Südafrika selbst Folter und Isolierung nicht brechen konnten, steht in direktem Zusammenhang mit den »Nelson Mandela Rules« der UNO. Diese »Mindestvorschriften für die Behandlung von Gefangenen« wurden vor sechs Jahren von der UNO-Kommission für Strafrechtspflege angenommen und ziehen Lehren aus den von Nelson Mandela erlittenen Menschenrechtsverletzungen. Die wichtigsten Regeln betreffen die Gesundheitsfürsorge hinter Gittern und die Ahndung der Isolationshaft.

Zur Gründungsinitiative für das Tribunal gehörten das National Jericho Movement, die Campaign to Bring Mumia Home, das International Leonard Peltier Defense Committee sowie die puertoricanische Pro Libertad Freedom Campaign. Ihnen hat sich inzwischen eine große Zahl von Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen angeschlossen. Sie vereine der gemeinsame Kampf gegen die national wie international geleugneten »systematischen historischen und gegenwärtigen Menschenrechtsverletzungen«, heißt es im Aufruf für das Tribunal.

Während des bis Montag dauernden Tribunals sollen »die Regierung der Vereinigten Staaten, einzelne Bundesstaaten und bestimmte Institutionen« wie Sicherheits- und Justizbehörden wegen konkreter Verletzungen der Menschen- und Bürgerrechte angeklagt werden. Im einzelnen gehe es um rassistische Polizeigewalt und Masseninhaftierungen sowie »die politisch motivierte Inhaftierung von Revolutionären und Aktivisten aus Bewegungen für Bürgerrechte und nationale Befreiung aus kolonialer Abhängigkeit«.

Geleitet wird das Tribunal von einem Team um die Anwältin Nkechi Taifa, die bereits als Studentin in den 60er Jahren von der Black-Power- und Bürgerrechtsbewegung geprägt wurde und zur Gründergeneration fortschrittlicher Organisationen für Frauen- und Gefangenenrechte in den USA gehört. Sie ist Präsidentin des 2002 von ihr in Washington D. C. initiierten »Justice Roundtable« von mehr als 100 Organisationen, die sich für eine Reform des US-amerikanischen Justiz- und Gefängnissystems einsetzen.

Das Tribunal findet als Präsenz- und Videoveranstaltung im New Yorker »Malcolm X and Dr. Betty Shabazz Center« statt und wird heute mit einer Kulturveranstaltung eröffnet. Am Wochenende wird die aus 13 Juristinnen und Juristen bestehende Jury »Zeugenaussagen von betroffenen Opfern, Sachverständigen und Anwälten« hören und ihr Urteil nach eingehender Beratung am Montag auf einer Pressekonferenz verkünden, so die Ankündigung.

Offensichtlich baut dieses Tribunal auf den Erfahrungen einer früheren Veranstaltung auf, die im Dezember 1990 unter dem Titel »Face Reality – There are Political Prisoners in the U.S.« im New Yorker Hunter College als dreitägiges Tribunal stattfand. Die Anhörung beeindruckender Zeugenaussagen aus Ghettos und Knästen sorgte damals dafür, daß viele »der Realität ins Auge sahen, daß es politische Gefangene in den USA gibt«. Wie beispielsweise den puertoricanischen Unabhängigkeitskämpfer Oscar López Rivera, in der Haft isoliert seit 1981. Internationaler Druck brachte den damaligen USA-Präsidenten Barack Obama 2017 dazu, López zu begnadigen.

1990 wurden auch die Fälle des indigenen Bürgerrechtlers Leonard Peltier, in Haft seit 1976, und des 1981 verhafteten Ex-Black-Panthers und Journalisten Mumia Abu-Jamal behandelt. Beide sind heute nach endloser Haft und Isolierung krank, müßten also allein aus humanitären Gründen freigelassen werden.