Ausland05. September 2025

Rußland zurück auf Weltbühne

Nach dem Alaska-Gipfel: Putin für »ausgewogenes Sicherheitsgleichgewicht«. EU- und NATO-Europäer abgehängt

von Arnold Schölzel

Das Treffen zwischen USA-Präsident Donald Trump und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin am 15. August in Anchorage entfaltet seine Wirkung. Am Dienstag dieser Woche erschien in der »New York Times« eine Analyse unter der Schlagzeile: »Putin finds a Growing Embrace on the Global Stage« – »Putin findet auf der Weltbühne zunehmend Anklang«. Das bezog sich vor allem auf den Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) im chinesischen Tianjing.

Gleichzeitig berichtete die US-Zeitung über das Durcheinander, das unter europäischen EU- und NATO-Verbündeten nach dem Alaska-Gipfel ausgebrochen ist. So beschwerte sich zum Beispiel die EU-Kommission am Montag, Rußland habe das GPS-Signal des Flugzeugs von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Anflug auf Bulgarien gestört. Die Deutsche hatte am Sonntag und Montag sieben osteuropäische EU-Mitgliedstaaten besucht, um Bodentruppen für den Einsatz in der Ukraine nach einem Friedensschluß zu mobilisieren.

Das Merkwürdige: In der Abschlußerklärung des »Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats«, der am Freitag vergangener Woche unter Teilnahme von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz in Toulon tagte, taucht die Forderung nach Truppenstationierung in der Ukraine nicht mehr auf. Vage heißt es, daß »die Arbeit der Koalition der Willigen zu sogenannten Rückversicherungstruppen« beschleunigt werden soll. Was auch immer das heißen mag.

Am Sonntag brachte Merz es im ZDF-»Sommerinterview« sogar fertig zu behaupten: »Für den gegenwärtigen Fall spricht niemand über Bodentruppen in der Ukraine.« Da hatte er sich selbst vergessen. Bei einem Pressestatement in Washington am Montag zuvor hatte er erklärt, der Umfang von Sicherheitsgarantien müsse in Europa, mit den USA und in der Koalition in Berlin besprochen werden – »bis hin zu der Frage, ob wir hier möglicherweise mandatspflichtige Beschlüsse zu fassen haben«. Damit war gemeint, daß der Bundestag darüber entscheiden müßte, Bundeswehrsoldaten in die Ukraine zu schicken.

Damit trat er eine Gespensterdebatte in der deutschen Politik und ihren Medien los. Im ZDF erklärte er nun, die Stärkung der ukrainischen Armee habe »absolute Priorität« und ließ dem die als Warnung verpackte Drohung folgen: »Ich stelle mich darauf ein, daß dieser Krieg noch lange dauern kann.« Es werde kein Kriegsende um den Preis einer »Kapitulation der Ukraine« geben, weil: »Dann ist übermorgen das nächste Land dran. Und dann sind überübermorgen wir dran.« Oder mit den Worten seines Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn am 12. März in der FAZ: »Was nützt die schönste Schuldenbremse, wenn der Russe vor der Tür steht? Wir Europäer haben doch, zugespitzt gesagt, nur zwei Möglichkeiten: Wir können uns verteidigen lernen oder alle Russisch lernen.«

Spahn, jetzt CDU/CSU-Fraktionschef, und Amtskollege Matthias Miersch von der SPD besuchten am Montag Kiew, wo sich Präsident Selenski für die »Führungsrolle Deutschlands« bedankte.

Das Kontrastprogramm fand am selben Tag auf dem SCO-Gipfel statt. Im Kreis von 20 Staats- und Regierungschefs analysierte der russische Präsident: Die »ukrainische Krise« entstand nicht durch einen Angriff Rußlands, »sondern durch einen vom Westen unterstützten und provozierten Staatsstreich in der Ukraine und die anschließenden Versuche, den Widerstand jener Regionen der Ukraine und jener Menschen in der Ukraine, die diesen Putsch nicht akzeptierten und ihn nicht unterstützten, mit Hilfe der Streitkräfte zu unterdrücken.«

Der zweite Grund für die Krise seien »die ständigen Versuche des Westens, die Ukraine in die NATO zu ziehen«. Putin würdigte die Friedensvorschläge Chinas, Indiens und anderer Partner. Die in Anchorage »erzielten Vereinbarungen« mit den USA gingen »hoffentlich ebenfalls in diese Richtung« und ebneten »den Weg zum Frieden in der Ukraine«. Dessen Ursachen müßten beseitigt und ein »ausgewogenes Sicherheitsgleichgewicht wiederhergestellt werden«.

In der Abschlußerklärung des SCO-Gipfels wird der Krieg nicht erwähnt, was in Kiew Wut auslöste. Die »Koalition der Willigen« kündigte daraufhin für den gestrigen Donnerstag eine Beratung darüber an, wie sie weiterhin ein Kriegsende hinauszögern will.