Kein kurzer Weg mehr über Mayotte zum französischen Paß
Verfassungsänderung soll hier Geburtsortprinzip abschaffen
Im Gegensatz zum Juni 2023, als der französische Innenminister Gérald Darmanin in Mayotte, dem vor der Ostküste Afrikas gelegenen Überseedepartement, mit Blumenkränzen und traditionellen Gesängen begrüßt wurde, empfingen ihn bei seinem Besuch am vergangenen Sonntag Pfiffe und Sprechchöre von mehreren hundert Demonstranten. Seit drei Wochen sind die Wirtschaft und das öffentliche Leben der Inselgruppe paralysiert durch Straßensperren empörter Inselbewohner, die sich angesichts der kriminellen Gewalt von Jugendbanden, der extremen Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot sowie des Wassermangels, der zu tagelangen Abschaltungen führt, durch die Regierung in Paris im Stich gelassen fühlen.
Während die schlechte wirtschaftliche Lage das Ergebnis einer Vernachlässigung ist, die schon seit vielen Jahren zu beobachten war, hat die Unsicherheit vor allem in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Schuld sind kriminelle Banden ausländischer Kinder und Jugendlicher, die in Mayotte geboren wurden und hier bis zur Volljährigkeit mit 18 Jahren irgendwie »durchhalten« müssen, um dann Anspruch auf die französische Staatsangehörigkeit zu haben und nach Frankreich zu gelangen, um dort für sich und ihre Familien in der Ferne ein neues Leben aufzubauen. Die Eltern, die zumeist von der Nachbarinselgruppe der Komoren stammen, haben es so eingerichtet, daß die schwangeren Mütter rechtzeitig nach Mayotte gekommen sind, damit das Kind hier auf französischem Boden geboren wurde.
Daß die Eltern, die illegal oder mit einem Visum für einen Verwandtenbesuch gekommen sind, sich hier bestenfalls ein paar Jahre halten konnten, bis sie von der Polizei aufgespürt und abgeschoben wurden, war zweitrangig. Hauptsache, das Kind konnte in Mayotte bleiben. Solche Kinder leben meist in den Familien von Verwandten oder Freunden, die ebenfalls von den Komoren stammen, aber legal in Mayotte leben. Inzwischen liegt hier der Anteil von Ausländern bei 50 Prozent, während es in Frankreich selbst knapp sieben Prozent sind.
Diese »Überfremdung« ist in den Augen vieler Einwohner von Mayotte die Ursache der zunehmenden Unsicherheit sowie der Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in dem Überseedepartement. Das führte beispielsweise dazu, daß Marine Le Pen, die rechtsextreme Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl 2022, in Mayotte mit 45,68 Prozent den höchsten Stimmenanteil aller Wahlkreise in Frankreich und in Übersee erzielte.
Im vergangenen Sommer und Herbst kam Innenminister Darmanin mehrmals nach Mayotte, um hier die Aktion »Wuambushu« zu starten und zu überwachen, bei der die größte Elendssiedlung der Insel mit schwerer Technik abgerissen und zerstört wurden. Wer von den Bewohnern gültige Papiere besaß, wurde in Sozialwohnviertel umgesiedelt, während die illegalen Ausländer umgehend übers Meer abgeschoben wurden. Doch eine Lösung der Probleme in Mayotte war das noch nicht.
Diesmal kam Gérald Darmanin mit der Ankündigung von Maßnahmen, die das Problem »auf Dauer lösen« sollen. Kern ist die Abschaffung des »Droit du sol«, also des Geburtsortprinzips, das mit der Volljährigkeit die Anerkennung als Staatsbürger in Aussicht stellt. Noch auf dem Flughafen erklärte er: »Der Präsident hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß wir eine radikale Entscheidung treffen werden, das Ende des Droit du sol für Mayotte per Verfassungsänderung.«
Das Verfahren werde noch vor der Sommerpause des Parlaments durch ein dringliches Sondergesetz eingeleitet. »Künftig wird es nicht mehr möglich sein, Franzose zu werden, wenn man nicht das Kind französischer Eltern ist«, betonte der Minister. »Helfen Sie mir, den öffentlichen Frieden wiederherzustellen. Lassen Sie uns diskutieren und zusammenarbeiten.«
Bei den »Forces vives«, der spontan entstandenen Protestbewegung, die die Straßensperren errichtet hat, werden die Worte des Ministers mit Skepsis aufgenommen. »Wir haben in der Vergangenheit zu viele Versprechungen gehört, die nie eingelöst wurden«, sagt Saïd Kambi, einer der Führer der Bewegung. »Die Menschen hier sind zutiefst davon überzeugt, daß ihr Schicksal der Regierung in Paris gleichgültig ist.«
Dieses Gefühl wird von den Rechtsextremen noch geschürt. So erklärte Marine Le Pen am Wochenende: »In dieser Art Bürgerkrieg wird die Bevölkerung von Mayotte allein gelassen.«
Die Absicht der Regierung, die Verfassung zu ändern, spielt der rechten und vor allem der rechtsextremen Opposition in die Hände. Auf ihre Stimmen sind Macron und Darmanin angewiesen, denn um die Verfassung zu ändern, braucht man im Kongreß, der gemeinsamen Sitzung beider Kammern des Parlaments, eine Drei-Fünftel-Mehrheit.
Das Regierungslager hat schon für ein einfaches Gesetz nicht die nötige Mehrheit und ist auf die Unterstützung durch Stimmen von rechts angewiesen. Dort ist das »Droit du sol« schon seit langem ein rotes Tuch. Die rechtsbürgerlichen Republikaner und vor allem das rechtsextreme Rassemblement National unter Führung der Faschistin Le Pen fordern seit langem, über Einwanderung, Bleiberecht und Asyl-Kriterien eine Volksabstimmung durchzuführen. Sie sind überzeugt, daß bei diesem Thema die »schweigende Mehrheit« der Franzosen auf ihrer Seite steht.