Ausland16. April 2022

Teilen und Herrschen

Syrien gestaltet sich zu einem Endlos-Konflikt. Destruktive Aktionen der USA und der NATO

von Karin Leukefeld

Der Krieg in und um Syrien ist »eingefroren«. Die in die Bekämpfung der legitimen syrischen Regierung involvierten Akteure im In- und Ausland haben ihre Ziele nicht erreicht und destabilisieren das Land mit Besatzungstruppen und Wirtschaftskrieg. Die klassische imperiale Strategie von »Teilen und Herrschen« blockiert eine Lösung zwischen den Akteuren in Syrien.

Hingehalten

Mehr als zehn Jahre ist es her, daß der langjährige UNO-Generalsekretär Kofi Annan einen Sechs-Punkte-Plan zur Beilegung des innersyrischen Konflikts vorlegte, der ein Jahr zuvor begonnen hatte. Im Februar 2012 war Annan zum gemeinsamen Syrien-Sonderbeauftragten der Organisation der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga ernannt worden. Am 10. März hatte Annan dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad den Sechs-Punkte-Plan vorgelegt, am 21. März stellte sich der UNO-Sicherheitsrat mit einer Präsidialerklärung hinter den Plan, am 27. März akzeptierte der syrische Präsident den Plan – der dann jedoch nicht eingehalten wurde.

Für den 30. Juni 2012 hatte Kofi Annan zu einer Syrien-Konferenz nach Genf eingeladen. Neben den Außenministern der fünf Ständigen Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat nahmen Vertreter aus der Türkei, dem Irak, aus Kuwait und Katar teil. Der Iran war auf Druck der USA nicht eingeladen. Man einigte sich auf die Bildung einer Übergangsregierung in Syrien unter Beteiligung von Opposition und Regierung. Präsident Assad wurde in der Erklärung nicht erwähnt.

Unmittelbar nachdem Kofi Annan die gemeinsame Abschlußerklärung verlesen hatte, scherte die USA-Außenministerin, die das Papier eben noch unterzeichnet hatte, aus. »Assad muß gehen«, erklärte Hillary Clinton vor Journalisten. Die Vereinbarung mache »Schluß mit der Vorstellung, daß er und diejenigen mit Blut an den Händen an der Macht bleiben können.«

Kofi Annan trat noch vor dem Ende seines Mandats Anfang August 2012 zurück.

Sicherheitsrats-Resolution 2254

2015 wurde vom UNO-Sicherheitsrat die Resolution 2254 einstimmig verabschiedet, die seitdem von allen beteiligten Staaten – weit mehr als die Ständigen Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat – als Grundlage für eine politische Einigung in Syrien angeführt wird. Doch der in der Resolution geforderte politische Prozeß, der »zwischen Syrern geführt und von Syrern geleitet« werden soll, hat bisher lediglich eine formale Gestalt angekommen.

Bei den bisher sieben Treffen unter Moderation der UNO kommen drei Delegationen aus Syrien zusammen: eine Regierungsdelegation, eine Delegation ausgewählter Oppositioneller, eine dritte Delegation, die »die syrische Zivilgesellschaft« vertreten soll. Zudem gibt es einen Frauenrat im Hintergrund, der den UNO-Sonderbeauftragten berät.

Daß der politische Prozeß nicht vorankommt, hat viele Gründe. Zum einen werden die Delegationen von außen beeinflußt, dann finden die Beratungen nicht in Syrien statt, was die Syrer von dem Prozeß entfremdet. Schließlich sind nicht alle innersyrischen oppositionellen Gruppierungen vertreten.

Eine von diesen sind die syrischen Kurden, die aus der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) hervorgegangen sind. Diese ursprünglich in der Türkei entstandene Organisation stand seit 1979 unter dem Schutz Syriens und konnte sich organisatorisch und militärisch entwickeln, 1984 nahm die PKK von dort den bewaffneten Kampf in der Türkei auf. Geopolitische Entwicklungen – Auflösung der Sowjetunion, Druck der NATO auf Syrien – führten zu der Ausweisung von PKK-Kadern 1998. Der damalige Vorsitzende Abdullah Öcalan reiste nach Zypern aus und versuchte in verschiedenen europäischen Ländern sowie in Rußland politisches Asyl zu bekommen. In einer geheimdienstlichen Operation wurde Öcalan Anfang 1999 in die Türkei verschleppt und verurteilt.

Der kurdische Faktor in Syrien

Mit Beginn des Krieges in Syrien 2011 hielten sich die rund ein Dutzend politisch sehr verschieden ausgerichteten syrisch-kurdischen Organisationen gegenüber der Regierung in Damaskus zurück. Die Partei der demokratischen Union (PYD) und die neu gegründeten Volksverteidigungskräfte YPG/YPJ gingen ein Bündnis mit dem oppositionellen Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel ein.

Der Angriff des »IS« auf das kurdisch kontrollierte Kobane/Ain al Arab 2015 änderte alles. PYD und YPG/YPJ nahmen die militärische Unterstützung der USA an, und öffneten damit dem Militär der USA das Tor nach Syrien. Als das kurdische Bündnis im März 2016 eine selbstverwaltete Region Rojava ausrief, zerbrach das Bündnis mit den syrischen Oppositionellen, die eine innerstaatliche syrische Lösung anstrebten. In Rojava entstanden die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK), eine eigene, quasi-staatliche Struktur, die von westlichen Staaten und den USA unterstützt wird.

Ihr erklärter multiethnischer und multireligiöser Charakter findet in Rakka, Hasakeh und Deir Ez-Zor keine uneingeschränkte Zustimmung. Arabische Stämme im Euphrat Tal und im syrisch-irakischen Grenzgebiet lehnen die Dominanz der kurdischen Führungsebenen ab und kooperieren wahlweise mit der syrischen Regierung oder mit Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Zur ersten Runde der innersyrischen Gespräche gemäß der UNO-Sicherheitsrats-Resolution 2254 in Genf 2016 waren zwar kurdische Organisationen eingeladen, die mit der von der Türkei unterstützen Nationalen Koalition gegen die syrische Regierung kooperierten. Nicht nach Genf eingeladen war die PYD, weil die Türkei sich weigerte, sie als Gesprächspartner zu akzeptieren. Für Ankara sind PYD und SDK im Nordosten Syrien eine »Gefahr für die nationale Sicherheit« der Türkei.

Die USA dagegen arbeiten bis heute eng mit den kurdischen Strukturen zusammen, die im Kampf gegen den »IS« mit der von den USA geführten »Anti-IS-Allianz« als Bodentruppen fungierten.  Das USA-Außenministerium hat eigens einen Botschafter für die Gebiete im Nordosten Syriens ernannt. Die USA pumpen US-Dollar in das Gebiet und unternehmen vieles, um die wirtschaftlichen Möglichkeiten der syrischen Kurden auszuweiten. Washington verfolgt einen Zusammenschluß der Kurden im Nordosten Syriens mit der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak.

Auf Eis

In keinem der UNO-Pläne für Syrien kommen die expliziten Forderungen der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte vor. Diese wiederum finden sich nicht in den Forderungen der zahlreichen syrischen Oppositionsgruppen wieder und wollen eigenständige Anerkennung und Verhandlungen. Die syrische Regierung hat seit 2011 – auch über Aleppo – den Kontakt zu den syrisch-kurdischen Strukturen im Norden des Landes – bis zum türkischen Einmarsch 2018 auch in Afrin – aufrecht erhalten. Rußland, das seit 2015 selber in Syrien agiert, versucht zwischen beiden Seiten zu vermitteln.

Aktuell liegen die Beziehungen allerdings ebenso auf Eis, wie die gesamte politische und wirtschaftliche Lage in Syrien. Geschuldet ist das wesentlich der fortgesetzten Intervention des Westens. Die Vertreter der EU-Staaten reden zwar mit Vertretern der kurdisch geführten SDF, fördern deren Hoffnung auf internationale Anerkennung und leisten hin und wieder Hilfe. Wichtig für die EU ist auch, daß die kurdischen SDK weiter die gefangenen »IS«-Angehörigen im Lager al Hol und in verschiedenen Gefängnissen bewachen. Gemeinsam mit den USA ertüchtigen europäische NATO-Staaten die kurdischen Strukturen in Syrien, um sie Damaskus zu entfremden. Politisch aber halten sie die SDF hin, um die Türkei nicht zu verärgern.