Ausland29. April 2021

Verteidigung der »abendländischen Zivilisation«

Französische Militärs drohen mit Putsch gegen die Republik

von Ralf Klingsieck, Paris

Vor einem »Zerfall« des Staates und einem drohenden Bürgerkrieg warnen in einem Offenen Brief an Präsident Emmanuel Macron rund 1.500 ehemalige oder aktive Militärs, darunter zwei Dutzend pensionierte Generäle und mehr als 100 Offiziere. Der erst am Dienstag allgemein bekannt gewordene Brandbrief war schon am 21. April, dem 60. Jahrestag des Staatsstreichversuchs von Generälen gegen den damaligen Präsidenten Charles de Gaulle und gegen die Entlassung Algeriens in die Unabhängigkeit, veröffentlicht worden.

Daß er auf der Internetseite der Zeitschrift »Valeurs Actuels« erschien, ist sicher kein Zufall, denn das Blatt steht dem rechtsextremistischen Rassemblement National der Faschistin Marine Le Pen nahe, für die bei der vorigen Präsidentschaftswahl 40 Prozent der Militärs gestimmt haben. Entsprechend hat sich Marine Le Pen am Dienstag mit den Militärs und ihrem Appell solidarisch erklärt. Sie teile ihre Besorgnisse, und um eine grundlegende Wende herbeizuführen, sei es das Beste, ihr bei der Wahl 2022 zum Einzug ins Elysée zu verhelfen. Das sei »eine Schlacht um Frankreich«, erklärt sie.

Die Unterzeichner des Offenen Briefes betonen, es gehe ihnen um die Verteidigung der »abendländischen Zivilisation« in Frankreich und darum prangern sie die »Laschheit« der Regierung gegen »islamistischen Bedrohungen« und gegen »Horden aus den Vorstädten« an. »Frankreich ist in Gefahr. Wir bleiben Soldaten und können nicht ignorieren, was unserem schönen Land widerfährt«, heißt es in dem Text. Die Militärs heucheln Unterstützung für die »aus Verzweifelung geborene« Bewegung der »Gelben Westen« und prangern gleichzeitig ein »öffentliches Kesseltreiben gegen die Ordnungskräfte« an, die von der Regierung nur zu oft als »Sündenböcke geopfert« werden.

In Frankreich sei »Brüderlichkeit dem Haß gewichen«, heißt es weiter in dem Text. Von den politisch Verantwortlichen wird gefordert, »konsequent und hart durchzugreifen«. Andernfalls drohe »wachsendes Chaos« und schließlich ein »Bürgerkrieg mit Tausenden Toten«. Unverhohlen wird gedroht: »Wenn die Laschheit anhält und sich noch weiter ausbreitet, wird das unausweichlich zu einer Explosion und zum Eingreifen unserer Kameraden im aktiven Dienst führen.«

Auffallend ist die Nähe des Offenen Briefes zu dem kürzlich erschienenen Buch »Der Tag danach – Signal für den Umsturz« des rechtsnationalistischen Publizisten, früheren Präsidenten des Mouvement pour la France und ehemaligen EU-Abgeordneten Philippe de Villiers. Der hat sich zwar aus der aktiven Politik zurückgezogen, wurde aber von Emmanuel Macron wiederholt konsultiert, was man im Umfeld des Präsidenten mit Befremden registriert hat. In seinem Buch geht Philippe de Villiers jetzt auf Distanz zum Präsidenten und wirft ihm vor, daß er vor der »Masseneinwanderung von Ausländern« kapituliert und die französische Geschichte nach antikolonialistischem Diktat »umschreiben« wolle.

Der Bruder des Publizisten und Ex-Politikers. Armeegeneral Pierre de Villiers, war bis zum 17. Juli 2017 Generalstabschef der französischen Streitkräfte, wurde dann aber von dem gerade erst gewählten Präsidenten Macron abgesetzt, weil er dessen Militärpolitik öffentlich angegriffen hatte. Den Offenen Brief hat General a.D. Pierre de Villiers allerdings nicht unterzeichnet.

Der zunächst kaum beachtete Aufruf der Militärs fand ein allgemeines Echo, nachdem am Montag in Rambouillet bei Paris eine Beamtin der Polizei von einem Islamisten erstochen wurde. In den vergangenen fünf Jahren hat es mehr als zwei Dutzend Fälle von Mord oder Totschlag an Polizisten oder an Gendarmen gegeben, wobei es sich bei letzteren um Militärangehörige handelt. Daß seit 2015 im Rahmen der Operation »Sentinelle« (Wachposten) Soldaten in den Großstädten Streife gehen und öffentliche Gebäude, Bahnhöfe, Flughäfen, Kirchen oder Synagogen schützen, ließ zweifellos innerhalb der Armee das Gefühl für eine »Bedrohung des Landes durch religiösen Extremismus und Terrorismus« wachsen.

Präsident Macron hat sich bisher zu dem an ihn gerichteten Appell der Militärs nicht geäußert, und die Regierung versucht die Tragweite herunterzuspielen. So erklärte die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Agnès Pannier-Runacher in einem Interview spöttisch, da hätten »eine Handvoll Generäle in Pantoffeln zum Aufstand aufgerufen«. Armeeministerin Florence Parly läßt zumindest untersuchen, welche der Unterzeichner noch im aktiven Dienst sind und kündigt »harte Sanktionen« an. Immerhin sei hier gegen die gesetzliche Pflicht der Militärangehörigen verstoßen worden, »politische Zurückhaltung« zu üben.