Anspannung im Libanon
Zur Trauerfeier für Hassan Nasrallah werden in Beirut Gäste aus 79 Staaten und mehr als 500 Medien erwartet
Hunderttausende aus aller Welt werden am Sonntag nach Beirut kommen, um Hassan Nasrallah, den langjährigen Generalsekretär der Hisbollah, und dessen Nachfolger Hashim Safieddine mit einer großen Trauerfeier das letzte Geleit zu geben.
Im Libanon laufen die Vorbereitungen für die Beerdigungsfeier seit Wochen. Die libanesische Hisbollah geht davon aus, daß Hunderttausende aus »mehr als 79 Staaten« aus aller Welt an den Trauerfeierlichkeiten für den früheren Generalsekretär der Hisbollah Hassan Nasrallah und seinen Stellvertreter und Cousin Hashim Safieddine am Sonntag teilnehmen werden. Beide waren Ende September und Anfang Oktober 2024 innerhalb weniger Tage durch gezielte Angriffe der israelischen Luftwaffe getötet worden. Mehr als 500 Journalisten und Fotografen aus aller Welt haben sich angemeldet, um über die Trauerfeier zu Berichten.
Die Trauerfeier wird in der Sportstadt »Camille Chamoun« im Ortsteil Ghobeiri im Süden von Beirut stattfinden. Anschließend wird der Sarg mit Hassan Nasrallah von einer Prozession zu einem Mausoleum gebracht werden, das unweit des Internationalen Flughafens von Beirut errichtet wird. Hashem Safieddine wird in seinem Heimatdorf Deir Qanoun al-Nahr beerdigt werden. Der Ort liegt unweit von Tyros im Süden des Libanon.
Das Amt von Präsident Joseph Aoun als auch das Büro von Parlamentspräsident Nabih Berri haben ihre Teilnahme zugesagt. Parlamentssprecher Berri geht davon aus, daß die Feier ruhig verlaufen wird. Armee und Sicherheitskräfte würden die Sicherheit aller Teilnehmer gewährleisten, sagte Berri vor Journalisten. Aus dem Iran wird eine hochrangige Delegation erwartet. Die libanesische Regierung hat Flugzeugen keine Landeerlaubnis erteilt, weil Israel – durch die USA – mitgeteilt hatte, den Flughafen von Beirut zu bombardieren, sollten iranische Maschinen versuchen, dort zu landen. Fluggäste aus dem Iran wurden von anderen Fluglinien transportiert. Iraqi Airways erklärte sich bereit, das Gepäck der Fluggäste aus dem Iran zu transportieren, weil auch die libanesische Middle East Airways (MEA) das verweigerte. Offenbar befürchtete man bei MEA, daß ihre Maschinen von Israel angegriffen werden könnten.
80 Tonnen Sprengstoff, um einen Mann zu töten
In einer Analyse der Tageszeitung »L’Orient le Jour« werden »schwere Sicherheitsrisiken« aufgezählt. Demnach könnte es zu Mordanschlägen und israelischen Luftangriffen kommen, hieß es in einem Artikel. Innere Unruhen oder »gar ein Bürgerkrieg« könnten ausbrechen. Daran dürfte vor allem Israel interessiert sein, dessen politische und Armee-Führung seit Monaten Libanesen aufgefordert haben, sich gegen die Hisbollah zu erheben. Ohne Erfolg.
Hassan Nasrallah war am 27. September 2024 getötet worden, zehn Tage nach dem von Israel durchgeführten Massenangriff auf tausende Libanesen, die kleine Funkempfänger und Walkie Talkies bei sich trugen. Die Geräte waren an zwei aufeinanderfolgenden Tagen von Israel ferngesteuert zur Explosion gebracht worden. Viele verloren ihr Augenlicht, Hände und andere Gliedmaßen, zahlreiche Opfer überlebten mit Metallstücken in Kopf und Gesicht. Nach offiziellen libanesischen Angaben starben bei den Explosionen 42 Personen, mehr als 4.000 wurden verletzt.
Nasrallah wurde mit anderen hochrangigen Hisbollah-Kommandeuren in einem Bunkerkomplex in Haret Hreik im Süden von Beirut getötet. Der ehemalige israelische Kriegsminister Yoav Gallant beschrieb kürzlich in einem Interview mit dem israelischen Nachrichtensender Channel 12, daß die Entscheidung zur Tötung von Nasrallah Tage früher gefallen war. Gallant fragte nach dem Erfolg des Angriffs und erhielt zur Antwort, die Tötung Nasrallahs sei zu 90 Prozent gesichert. Man habe 40 Tonnen Sprengstoff eingeplant, so die Luftwaffenoffiziere. Gallant ordnete daraufhin an, daß die Sprenglast auf 80 Tonnen verdoppelt werden sollte, um einen 99-prozentigen Erfolg zu gewährleisten. Bei dem massiven Luftangriff wurden sechs umstehende Wohnhäuser ganz oder teilweise zerstört. Der Angriff erfolgte – anders als bei vorherigen Angriffen auf Wohnhäuser – ohne jegliche Vorwarnung. Safieddine, der zwei Tage später als Nachfolger ernannt worden war, wurde am 3. Oktober getötet.
Aus Sicherheitsgründen werden am Tag der Trauerfeier die Straßen rund um die Sportstadt gesperrt, der internationale Flughafen von Beirut wird während der Prozession für mindestens vier Stunden lang geschlossen werden. Die Hisbollah hat ihrerseits Komitees eingerichtet, die für Sicherheit und Organisation zuständig sind.
Unsicherheitsfaktor Israel
Größter Unsicherheitsfaktor für den Libanon ist weiterhin Israel. Bereits zwei Mal – am 26. Januar sowie am 18. Februar – hat Israel die Anordnung zum kompletten Abzug seiner Truppen aus dem Süden des Libanon ignoriert. Stattdessen halten israelische Truppenverbände weiterhin fünf Punkte im Süden des Landes besetzt. Die Luftwaffe überfliegt das ganze Land in niedriger Höhe und durchbricht die Schallmauer, Überwachungsdrohnen kreisen über Stadt und Land, um die Bevölkerung einzuschüchtern.
Erst am vergangenen Dienstag wurde bei einem israelischen Drohnenangriff auf ein Fahrzeug in Aita al-Shaab ein Mann getötet und seine Ehefrau verletzt. Bei dem Mann handelte es sich um den Sohn des Gemeindevorstehers von Aita al-Shaab. Bei heftigem israelische Maschinengewehr-Beschuß auf Wazzani wurden zwei Personen verletzt, in Kfar Kila wurde eine Gruppe von Rückkehrern mit Blendgranaten angegriffen. Der libanesische Zivilschutz mußte am gleichen Tag in verschiedenen Orten die sterblichen Überreste von elf Personen bergen, die man zuvor nicht erreichen konnte. Am Montag waren in verschiedenen Orten im Südlibanon 23 Tote geborgen worden.
Innerlibanesische Gegner der Hisbollah könnten die Trauerfeier und die großen Menschenmengen ebenfalls nutzen, Unruhe zu schüren und die Hisbollah zu provozieren. Die neue Regierung von Nawaf Salam folgte dem Druck von USA und EU-Ländern und veröffentlichte eine entschärfte Ministerielle Erklärung, in der – anders als zuvor – »Widerstand« gegen Israel verboten wird.
Die Hisbollah hat ihre Haltung als »Widerstand« sowie die eigene Bewaffnung damit begründet, daß sie den Libanon gegen Israel schützen und verteidigen werde. Viele sehr verschiedene Teile der Gesellschaft unterstützen diese Haltung der Hisbollah, zumal die libanesische Armee (LAF) ohne Flugabwehr und schwere Waffen in keiner Weise in der Lage ist, das Land gegen einen Angriff Israels zu schützen. Ein ehemaliger Rekrut der LAF berichtete der Autorin, bei seiner Grundausbildung habe man auch über einen möglichen israelischen Angriff gesprochen. Auf die Frage, was die Soldaten in dem Fall tun sollten, habe es geheißen: »Lauft fort.«

