Kaleidoskop08. Juli 2023

Grabfund in Spanien: Vermeintlicher Anführer war eine hochgestellte Frau

von dpa/ZLV

Bernsteinperlen, Bergkristalle, Elfenbein. Als im Jahr 2008 in einer jahrtausendealten Grabstätte im Süden Spaniens solche Kostbarkeiten gefunden wurden, gingen die beteiligten Forscher wie selbstverständlich davon aus: Es muß ein Mann sein, der hier beerdigt wurde. Doch nun zeigen Analysen eines Zahns aus dem prachtvollen Grab im andalusischen Valencina bei Sevilla, daß es kein Anführer ist, der dort bestattet wurde. Es ist eine – höchstwahrscheinlich gesellschaftlich hochgestellte – Frau, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal »Nature Scientific Reports«.

Bisher waren die Forscher von einem 17 bis 25 Jahre alten Mann ausgegangen. Das Grab stammt aus der Kupferzeit – etwa 3.200 bis 2.200 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

»Häufig dominieren Bilder, wonach in der frühesten Epoche der Menschheitsgeschichte sämtliche Führungspositionen von Männern besetzt gewesen seien«, erläuterte Katharina Rebay-Salisbury vom Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie für Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Wien. Mit diesem Fund würden »viele unserer Geschlechterstereotypen über Bord geworfen.«

Der Nachweis gelang mittels einer speziellen Analyse des Zahnschmelzes, die in Wien entwickelt und vorgenommen wurde. »Das Ergebnis einer solchen Analyse ist zu 99,9 Prozent sicher«, so Rebay-Salisbury. Zu den vielen hochwertigen Grabbeigaben zählten auch ein Elefantenstoßzahn, Straußeneischalen und ein Dolch mit einer Klinge aus Bergkristall sowie einem Elfenbeingriff, verziert mit 90 scheibenförmigen Perlen aus Perlmutt.

Daß solche Dinge einer Frau mit ins Grab gegeben wurden, zeige, daß womöglich schon in der frühesten Epoche der Menschheitsgeschichte Führungspositionen mit Frauen besetzt waren, sind die Studienautoren überzeugt. Möglicherweise sei die bestattete Frau Elfenbeinhändlerin oder Priesterin gewesen, vermutet die Wiener Archäologin.

Bisher sei in ganz Spanien kein Grab eines Mannes aus der Kupferzeit gefunden worden, dessen sozialer Status dem der Elfenbeindame genannten Frau entspreche, erklärte die spanische Archäologin Marta Cintas Peña von der Universität Sevilla. Das einzige vergleichbare Grab befinde sich ebenfalls auf dem Bestattungsplatz bei Valencina und enthalte die Gebeine von mindestens 15 weiteren Frauen, die nach der Elfenbeindame lebten. Womöglich handle es sich um Menschen, die eine Verbindung mit ihrem Leben – beispielsweise religiöser Art – hatten.

Insgesamt deuteten die Ergebnisse darauf hin, daß Frauen in der iberischen Gesellschaft der Kupferzeit Führungspositionen eingenommen haben könnten und die Rolle von Frauen in der Vergangenheit und in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen überdacht werden solle, heißt es in einer Mitteilung der Universität von Sevilla zur Studie.