Ausland13. Oktober 2010

Heiße Luft

Seine ersten 100 Amtstage nutzte der philippinische Präsident zur gefälligen Selbstdarstellung

Sie haben jetzt eine Regierung, die Ihnen zuhört und Ihnen die Wahrheit sagt. Sie haben eine Regierung, die Sie nicht mehr länger ignoriert und täuscht. Vertrauen ist zurückgekehrt, unsere Wirtschaft ist auf Wachstumskurs. Und allen, die in schlechtes Regieren verstrickt waren, versichere ich, daß ihre Tage gezählt sind.« Das war die Kernbotschaft, die ein sichtlich gut gelaunter, von den Meinungsforschungsinstituten Social Weather Station und Pulse Asia mit Bestnoten bedachter Benigno S. Aquino III – im Volksmund kurz »Noynoy« genannt – seiner Anhängerschaft vergangene Woche anläßlich seiner ersten 100 Tage als 15. Präsident der Republik der Philippinen mit auf den Weg gab.

Für seinen Auftritt hatte Aquino nicht den Präsidentenpalast Malacañang, sondern publicityträchtig das La Consolacion College in Manila gewählt. »Kayo ang boss ko« (»Ihr seid mein Boß«), rief er den Versammelten zu und gelobte wie bereits in früheren Reden, einen bescheidenen Regierungsstil mit seinem politischen Hauptanliegen zu verbinden, die grassierende Korruption im Land und die von seiner Amtsvorgängerin, Gloria Macapagal-Arroyo, exzessiv genährte Vetternwirtschaft mit Stumpf und Stiel auszumerzen. »Wir werden es nicht zulassen«, sagte der Präsident unter großem Beifall des Publikums, »daß nochmals ein Regierungssystem herrscht, in dem Beamte wie Krokodile die Staatskassen plündern. Wenn keine Korruption herrscht, gibt es auch keine Armut.« Gleichzeitig betrieben Aquinos Berater emsig Imagepflege. Die Medien äußerten sich positiv über des Präsidenten erste Auslandsreise zum USA-Amtskollegen Barack Obama. Während seines einwöchigen USA-Besuchs habe Aquino samt seiner Entourage, so Exekutivsekretär Paquito Ochoa, mit 25 Millionen Peso (ca. 416.000 Euro) nur ein Drittel der Kosten des USA-Staatsbesuchs seiner Vorgängerin Arroyo im Sommer letzten Jahres verwandt.

All das sind nach Ansicht der außerparlamentarischen Opposition lediglich wohlgesetzte Worte, denen bislang keinerlei Taten folgten. So bleibe Expräsidentin Arroyo von jedweder Strafverfolgung verschont, wenngleich ihr zahlreiche Verstrickungen in Großskandale, Korruption und Amtsmißbrauch vorgeworfen werden. Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen wie Karapatan, Amnesty International und Human Rights Watch sprechen weiterhin von strukturellen Schwächen des philippinischen Rechtssystems und beklagen, daß die perfide Politik »außergerichtlicher Hinrichtungen« von Systemkritikern ungebrochen fortgesetzt wird. Allein in den ersten 100 Amtstagen Aquinos seien drei Journalisten und 16 fortschrittliche und linke Aktivisten ums Leben gekommen, wobei die Täter unerkannt entkommen konnten. Bedenklicher noch: Die von Expräsidentin Arroyo aus der Taufe gehobene und rigide praktizierte »Aufstandsbekämpfungsstrategie« Oplan Bantay Laya (»Operationsplan Freiheitswacht«), die blutigste Strategie ihrer Art in der jüngeren Geschichte des Landes, bleibt auch unter Aquino unangetastet.

Mitglieder des Rates für Gesundheit und Entwicklung (CHD), eine Nichtregierungsorganisation, die vorrangig Arme und Marginalisierte – das sind immerhin zwei Drittel der philippinischen Bevölkerung – kostenlos medizinisch versorgt, bemängeln, daß die Regierung nur lächerliche 0,66 Peso pro Einwohner für den täglichen Gesundheitsdienst veranschlagt und es zuläßt, daß sich Krankheiten wie Denguefieber rasch ausbreiten. Die Ärztin und CHD-Geschäftsführerin Dr. Eleanor Jara nennt dies einen Skandal. Sie verweist darauf, daß sich die meisten Erkrankten nicht einmal eine Tablette Paracetamol leisten könnten.

Bauernverbände im Lande beklagen schließlich die Untätigkeit des Präsidenten in Sachen Landreform. Wenngleich diese eines der drängendsten sozialpolitischen Probleme des Inselstaates bildet, hat Aquino das Thema bislang mit keinem Wort erwähnt. Er selber ist Teilbesitzer der 6.543 Hektar umfassenden Hacienda Luisita, die seinem Clan, den Cojuangcos/Aquinos, gehört und deren Chefs sich bis heute erfolgreich gegen eine Veränderung des Status quo zu stemmen vermochten.

Rainer Werning