Ausland22. August 2019

Streit um Aufarbeitung

Japan will nicht an Verbrechen im Zweiten Weltkrieg erinnert werden

Am 15. August jährte sich zum 74. Mal der Tag, an dem der japanische Kaiser Hirohito in einer Rundfunkansprache das Ende des Krieges in Asien und im Pazifik und die Kapitulation Japans verkündete. Der »Tag der Befreiung« vom japanischen Kolonialjoch ist für die Menschen sowohl im Süden wie im Norden Koreas sehr wichtig.
Und just an diesem Jahrestag knistert es gewaltig im Gebälk der bilateralen Beziehungen zwischen Japan und seinem Nachbarn Südkorea. Im Zentrum der Kontroverse steht der Umgang mit einst von japanischen Großfirmen zwangsrekrutierten Arbeitern sowie von der Kaiserlich Japanischen Armee zwangsrekrutierten Mädchen und Frauen aus (dem damals noch einigen) Korea, die während des Krieges massenhaft in japanischen Militärbordellen mißbraucht wurden.

Seit Herbst vergangenen Jahres beschieden südkoreanische Gerichte, darunter der Oberste Gerichtshof in Seoul, daß japanische Firmen wie der Stahlhersteller Nippon Steel & Sumitomo Metal, der Maschinenbauer Nachi-Fujikoshi sowie der Schwerindu­striekonzern Mitsubishi Heavy Industries ehemaligen koreanischen Zwangsarbeitern Entschädigungen zu zahlen hätten. Daraufhin zeigte man sich in Tokio erbost und verwies auf den 1965 unterzeichneten bilateralen Grundlagenvertrag. Als Kompensation für die Kolonial- und Kriegszeit (1910–1945) hatte Japan Seoul damals 300 Millionen US-Dollar Wirtschaftshilfe und Aufbaukredite in Höhe von 500 Millionen US-Dollar gewährt. Südkoreas Bevölkerung und Richter hingegen argumentieren, daß der Grundlagenvertrag lediglich die zwischenstaatlichen Ansprüche regelt, nicht aber jene von Einzelpersonen.

Für zusätzlichen Zündstoff sorgt der Umgang japanischer Behörden mit der sogenannten Friedensstatue: Ein sitzendes Mädchen symbolisiert stellvertretend schätzungsweise 200.000 Mädchen und Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs in japanischen Militärbordellen als Sklavinnen gehalten wurden. Wo immer eine solche Friedensstatue gezeigt und ausgestellt wird, protestieren japanische Behörden erbittert dagegen.

Am Jahrestag fand in Seoul eine gemeinsame Demonstration von mehr als 20 Bürgerrechtsgruppen aus Südkorea und Japan statt. Mit einer schriftlichen Protestnote soll die rechtskonservative Regierung des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe dazu bewegt werden, sich der Vergangenheit zu stellen und die bereits gegen Seoul verhängten Handelsrestriktionen aufzugeben.

Ein Sprecher der Koreanischen Gewerkschaftskonföderation (KCTU) erklärte zuvor in Seoul: »Tausende von koreanischen Arbeitern schufteten und starben während des Krieges in japanischen Waffenfabriken und Kohleminen. Wir müssen Abes Geschichtsklitterei und Japans Wirtschaftsaggression schärf­stens zurückweisen.«
Die Veranstalter der Demonstration, an der sich auch Hinterbliebene von Opfern, Führungspersönlichkeiten des »Nationalen Kirchenrats in Korea« (NCCK) sowie Studenten aus beiden Ländern beteiligen, betonten ausdrücklich, daß sich ihre Kritik nicht gegen das japanische Volk, sondern gegen Premierminister Abe richtet. Dieser hält die Kontroverse seit Jahren für maßlos aufgeblasen und verweist stur auf den Grundlagenvertrag.

Rainer Werning

Eine Frau fotografiert Banner mit dem Bild des japanischen Premierministers Shinzo Abe und dem Schriftzug »No Abe« (Seoul, 12. August 2019) (Foto: Ahn Young-Joon/AP/dpa)