Leitartikel09. Juni 2021

Das Märchen von der Steuergerechtigkeit

von Ali Ruckert

Unter dem Druck der eskalierenden Verschuldung ihrer Staatshaushalte haben sich die Finanzminister von sieben großen kapitalistischen Ländern, die sich G-7 nennen, am vergangenen Wochenende auf einen Mindeststeuersatz für Unternehmen geeinigt.

Behauptet wird, es handele sich um eine »historische« Entscheidung, die dazu führen werde, dass Großunternehmen künftig weltweit mindestens 15 Prozent Steuern zahlen müssten. Dazu gehören soll, dass Konzerne, die bisher nur in dem Land besteuert wurden, in dem sie ihren Firmensitz haben, in Zukunft auch besteuert werden sollen in den Ländern, in denen sie einen Teil ihres Umsatzes machen.

Abgesehen davon, dass ein solcher Mindeststeuersatz noch einen langen Weg vor sich haben dürfte, bevor darüber bei der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entschieden wird, gebar der Berg tatsächlich nur eine Maus, denn mit der viel zu niedrigen Abgabenrate von 15 Prozent geht die Mindestbesteuerung nicht weit über die Besteuerung von Konzernen in den Steueroasen Irland, Singapur und der Schweiz hinaus.

Wie wenig der Mindeststeuersatz die Profitstrategie der Konzerne stören wird, zeigt sich daran, dass große Digitalkonzerne und andere Großunternehmen, die im bisherigen Steuerdumpingwettbewerb ganz vorne mitspielen, die Einigung bereits öffentlich begrüßten. Hinter den Kulissen sind die Konzerne und ihre politischen Wasserträger allerdings bereits fleißig dabei, alle möglichen Ausnahmeregelungen zu erfinden, die es ihnen erlauben werden, »wettbewerbsfähig« zu bleiben. Zum Beispiel, indem Aktien und andere Kapitaleinkommen noch niedriger oder überhaupt nicht besteuert und neue, beziehungsweise höhere Investitionsbeihilfen und »Forschungssubventionen« ausbezahlt werden, wie das bereits hierzulande der Fall ist.

Hinzu kommt, dass Druck auf ärmere Länder ausgeübt und damit gedroht wird, Konzernsitze in ein EU-Land oder die USA zu verlegen, sollten keine »kreativen Lösungen« im Steuerbereich möglich sein. Ohnehin werden bei einem Mindeststeuersatz von 15 Prozent 140 Schwellen- und Entwicklungsländer sich 100 Milliarden US-Dollar teilen müssen, während die reichen G-7 immerhin 170 Milliarden unter sich aufteilen werden.

Den Schaffenden wird gleichzeitig vorgegaukelt, hier erfolge eine »Revolution« in Richtung Steuergerechtigkeit, was nicht der Fall ist, denn der Mindeststeuersatz für Konzerne wird nicht dazu führen, dass der viel zu hohe Anteil der Schaffenden am Gesamtsteueraufkommen zurückgehen wird. Eher werden die Herrschenden in den entwickelten kapitalistischen Ländern, darunter Luxemburg, den Mindeststeuersatz dazu nutzen, um die bisherigen offiziell ausgewiesenen Kapitalsteuern während der nächsten Jahre ganz legal weiter zu senken.

Jetzt kommt es darauf an, sich nicht von der Propaganda über Steuergerechtigkeit blenden zu lassen, sondern darauf zu drängen, dass die Steuern der kleinen und mittleren Einkommensbezieher gesenkt und die Kapitalsteuern für Konzerne und Großunternehmen, aber auch für Banken und sogernannte »Investitionsfonds«, deutlich angehoben und die Reichen höher besteuert werden.

Dazu gehört auch eine Coronasteuer auf die Profite der Krisengewinnler.