Ausland05. März 2024

Israel isoliert sich

IGH-Anhörung über Besatzungspolitik ohne Beteiligung aus Tel Aviv oder Berlin

von Ralf Hohmann

Ist die israelische Besetzung des Westjordanlands, des Gazastreifens und Ostjerusalems völkerrechtswidrig? Mit dieser Frage befaßte sich der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag anläßlich eines großangelegten Anhörungsverfahrens, das vom 19. bis 26. Februar stattfand.

52 Staaten hatten die Gelegenheit, ihre Position darzulegen. Der laufende Prozeß ist losgelöst von der Völkermordklage, die Südafrika am 29. Dezember 2023 eingereicht hatte. Ein Jahr zuvor, am 30. Dezember 2022, verabschiedete die Generalversammlung der UNO mit 87 gegen 26 Stimmen (darunter Deutschland und die USA) bei 53 Enthaltungen eine Resolution, in der der IGH aufgefordert wurde, gutachterlich zu klären, welche völkerrechtlichen Konsequenzen sich aus der israelischen Besetzung des Gazastreifens, des Westjordanlandes und Ostjerusalems ergeben. Zu klären ist auch, ob aus der nun 57 Jahre andauernden Besatzung nicht längst eine völkerrechtswidrige Annexion geworden ist.

Artikel 2 Nr. 4 der UNO-Charta verbietet die Inbesitznahme fremden Territoriums unter Einsatz von Gewalt. Die UNO-Resolution vom 29. Dezember 2022 sah in der Okkupation eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der hier lebenden etwa 3,5 Millionen Palästinenser. Schließlich wurde der IGH um eine juristische Einschätzung der aggressiven Siedlungspolitik ersucht.

700.000 Israelis haben sich in den letzten Jahrzehnten auf palästinensischem Gebiet angesiedelt. Damit steht eine Verletzung des Artikels 49 der Genfer Völkerrechtskonvention von 1949 im Raum, wonach eine Besatzungsmacht »Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung nicht in das von ihr besetzte Gebiet abschieben oder umsiedeln« darf.

In den Anhörungen, die je Statement auf 30 Minuten beschränkt waren, kam als Erster der palästinensische Gesandte bei der UNO, Riyad Mansour, zu Wort. Er sprach über das Leid, das die Okkupation über die palästinensische Bevölkerung und insbesondere die Kinder gebracht hat. Unter Tränen appellierte er an die 15 Richter des IGH, die Besatzung für illegal zu erklären, für deren sofortiges Ende zu sorgen und damit den Weg frei zu machen für eine Zukunft, »in der kein Israeli und kein Palästinenser mehr durch Gewalt sterben muß«.

Der russische Botschafter in den Niederlanden, Wladimir Tarabrin, betonte, daß die israelische Siedlungspolitik eindeutig gegen internationales Recht verstoße. Zustimmung erhielt er vom französischen Gesandten Diego Colas: Frankreich werde »niemals die illegale Annexion von Gebieten im Westjordanland anerkennen«. Ma Xin-min, entsandt vom chinesischen Außenministerium, forderte ebenso wie die Vertreter Gambias, Guyanas und weiterer afrikanischer Staaten das sofortige Ende der Besetzung des gesamten palästinensischen Territoriums. Der Schweizer Delegierte Franz Perrez mahnte Israel, das Völkerrecht einzuhalten und bekräftigte das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung.

Der Staat, dessen Politik die Ursache der Anhörung war, Israel, hielt ein Erscheinen vor Gericht nicht für notwendig. In einer schriftlichen Stellungnahme Israels hieß es, der IGH sei ohnehin »voreingenommen« und für seine »tendenziösen Entscheidungen« bekannt.

Während das Gericht tagte, schlugen in Gaza weiter Raketen ein. Wie ein Affront gegen die Richter in Den Haag wirkte der Beschluß der israelischen Regierung, weitere 3.000 Wohnungen für israelische Siedler zu errichten, zumal der UNO-Sicherheitsrat im vergangenen Dezember einen vollständigen Siedlungsstopp verfügt hatte.

Israel isoliert sich. Von den 52 Ländervertretern zeigten nur die Vertreter der USA und Fidschis (zaghaftes) Verständnis für die Okkupationspolitik Israels. Deutschland glänzte in Den Haag durch Abwesenheit. Die Außenministerin hatte Besseres zu tun. Bei einem Blitzbesuch in der Ukraine am 24. Februar überreichte Annalena Baerbock, bekannt dafür, linguistische Herausforderungen gerne anzunehmen, ein »sprachliches Gastgeschenk« (»Tagesschau«): Kiew heiße ab sofort in Deutschland nicht mehr »Kiew«, sondern »Kyjiw«. Dudenredaktion und Schulatlantenverlage werden sich freuen. Inzwischen trainieren die Berliner Ministerien, daß das mit der Aussprache in Zukunft auch richtig klappt.