Ein »Versöhnungsabkommen«
Deutsche Bundesregierung will den Völkermord an den Herero anerkennen
Nach fast sechsjährigen Verhandlungen will die deutsche Bundesregierung jetzt mit der Regierung von Namibia ein »Versöhnungsabkommen« schließen, teilte der deutsche Außenminister Heiko Maas am Freitag mit. Es geht um eine Entschuldigung und um Entschädigungen für den Völkermord an den Herero und Nama, den die kaiserliche »Schutztruppe« zwischen 1904 und 1908 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika verübte. Ihm fielen über 80.000 Herero und 20.000 Nama bis 1908 zum Opfer.
Lassen wir zunächst die historischen Fakten sprechen: »Deutsch-Südwest«, das Kronjuwel der Afrika-Kolonien des deutschen Kaisers Wilhelm, wurde einst auf besonders barbarische Weise erobert. Als sich die Herero 1904 in einem Aufstand unter der Losung »Uns gehört Herero-Land« der Eroberung widersetzten, metzelte deutsche Kolonialsoldateska über 80.000 in einem selbst für imperialistische Praktiken bis dahin kaum gekannten Genozid nieder.
Nachdem die Aufständischen in der Schlacht am Waterberg im August 1904 geschlagen worden waren, trieb der Befehlshaber der kaiserlichen deutschen »Schutztruppe«, General Lothar von Trotha, die Herero in die wasserlose Kalahariwüste und befahl den Genozid mit folgenden Worten: »Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen«. Unterzeichnet: »Der große General des mächtigen deutschen Kaisers«.
Als sich die Nama im Süden des Landes danach gegen das barbarische deutsche Kolonialregime erhoben, erlitten sie ein ähnliches Schicksal. Insgesamt fielen etwa 80 Prozent der Bevölkerung der Herero und die Hälfte der Nama, insgesamt 80.000 bis 100.000 Menschen, bis 1908 dem Völkermord zum Opfer.
Noch heute leiden die Nachkommen unter den Folgen. Die Nachfahren der deutschen Siedler sind Farmer, die die riesigen Ländereien besitzen, die einst den Einheimischen geraubt wurden, während die überwiegende Mehrheit der Herero und Nama in Armut und ohne eigenes Land leben muß. Daran hat sich auch nach der Unabhängigkeit Namibias 1990 kaum etwas geändert.
Die Vertreter der beiden Volksgruppen forderten für die Nachkommen sowohl Reparationszahlungen als auch die Anerkennung des Völkermords und eine entsprechende Entschuldigung der Bundesregierung, was diese bisher immer ablehnte. Einen Skandal leistete sich der vom Pastor zum Bundespräsidenten hochgehievte und als fanatischer Verfolger von DDR-Bürgern berüchtigte Joachim Gauck, als er sich weigerte, eine Abordnung der Nachkommen des Völkermords zu empfangen.
Davon wich 2004 Heidemarie Wieczorek-Zeul ab, Entwicklungshilfeministerin in der Regierung von SPD-Kanzler Schröder, die bei einer Gedenkveranstaltung in Namibia von »Gräueltaten« sprach, die »heute als Völkermord bezeichnet« würden. Die nächste Bundesregierung, an deren Spitze 2005 die CDU-Vorsitzende Angela Merkel trat, folgte diesem Bekenntnis nicht. Sie argumentierte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts habe es noch keinen im Völkerrecht definierten Tatbestand des »Völkermords« gegeben. Erst 1948 habe die UNO-Generalversammlung als Konsequenz aus dem Völkermord an den Juden die »Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes« beschlossen und Genozid damit zum Straftatbestand gemacht. Die Konvention gelte jedoch nicht rückwirkend, deswegen ergäben sich für die BRD aus der Anerkennung des Völkermords auch keine rechtlichen Konsequenzen.
Die Bundesregierung rückt auch heute von dieser Auffassung nicht ab. Sie will als »politisch-moralische Verpflichtung« eine Summe von 1,1 Milliarden Euro als Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen. Außenminister Maas nannte es wörtlich eine »Geste der Anerkennung des unermeßlichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde«. Bekanntermaßen verdienen an solchen Geldern vor allem die Unternehmen der Geberländer. Obendrein soll das Geld auf einen Zeitraum von 30 Jahren verteilt werden und diese Rinnsale in Regierungsprojekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama fließen und nur gewährt werden, wenn Namibia akzeptiert, daß dann keine Entschädigungsforderungen mehr gestellt werden.
In diesem Rahmen soll Bundespräsident Walter Steinmeier demnächst während eines Besuchs in der namibischen Hauptstadt Windhuk vor dem Parlament eine Entschuldigung abgeben und um Vergebung bitten.
Die Unterzeichnung der Vereinbarung soll durch die Außenminister erfolgen. Wie für den Besuch Steinmeiers ist auch dafür ein Datum noch nicht genannt worden. Danach muß das Abkommen von den Parlamenten ratifiziert werden. In Windhuk muß es außerdem der Staatspräsident unterzeichnen.
Eingeschränkt werden die Ergebnisse der langjährigen Gespräche auch dadurch, daß sie zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und Namibias stattfanden. Nachfahren der Opfer der Herero und Nama waren an den Verhandlungen nur durch acht von der Regierung in Windhuk anerkannte Vertreter der Herero beteiligt. Befremdlich wirkte auch die Benennung der Verhandlungsführung durch Berlin. Beauftragt als Partner des Botschafters Namibias bei der EU, Zedekia Ngavirue, wurde der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz, der allerdings kein Regierungsamt innehat. Laut einem Bericht des deutschen Onlineportals »German Foreign Policy« haben die Ovaherero Traditional Authority und die Nama Traditional Leaders Association in Windhuk in Erklärungen die Ergebnisse als einen «Akt des Betruges« bezeichnet und eine »offizielle Entschuldigung für die zur Kolonialzeit begangenen Verbrechen sowie auch eine finanzielle Wiedergutmachung« gefordert.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Verbrechen des deutschen Kaiserreiches in ehemaligen Kolonialgebieten im heutigen Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika (Tansania), im chinesischen Tsingtao und auf Pazifikinseln bis heute ungeklärt und ungesühnt sind.