Palästina in Beirut
Israel weitete Krieg und Besatzung aus
Bilder der Trauerfeier für Hassan Nasrallah und Hashim Safieddine in Beirut bestimmten am Sonntag die Berichterstattung vieler Medien in der arabischen Welt. Hunderttausende aus dem Libanon, dem Irak und dem Iran waren gekommen, um dem langjährigen Generalsekretär Nasrallah und seinem Stellvertreter und Cousin Hashem Safieddine Respekt zu erweisen. Libanesen, die im Ausland leben, Freunde, politische Weggefährten und offizielle Delegationen aus 79 Ländern nahmen an der Trauerfeier teil, mit der die beiden herausragenden Politiker und alle Märtyrer der Hisbollah geehrt wurden.
Sie hatten ihr Leben der Verteidigung der Unterdrückten in Palästina, Syrien und vor allem im Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit des Libanon gewidmet, gewürdigt wurde auch ihre Rolle als religiöse und spirituelle Führer, die mit ihrem Engagement die muslimische Gemeinschaft untereinander und mit anderen Religionen verbunden hatten, statt sie zu spalten.
»Jerusalem ist unser Kompaß und Palästina unsere Sache«
Eine starke Botschaft sandte Atallah Hanna, Griechisch-Orthodoxer Erzbischof von Sebastia im von Israel besetzten Jerusalem. Hanna übermittelte seine Botschaft im Vorfeld der offiziellen Trauerfeier am Sonntag. Er nannte Nasrallah den »Meister der Märtyrer der islamischen Umma« (Gemeinschaft) und würdigte dessen Einsatz für das palästinensische Volk. »Wir bleiben diesen Opfern treu«, hieß es in der Botschaft des Erzbischofs. »Von Al-Quds aus stehen wir in Ehrfurcht vor seinen Opfern und denen seiner Gefährten, die Palästina beistanden, es verteidigten und einen hohen Preis dafür zahlten«, fügte er hinzu.
Hanna bekräftigte, daß die Palästinenser ihre Rechte nie aufgeben werden. »Wir sind eine Familie, eine Ummah, wir wenden uns gegen koloniale Projekte, die nicht nur Palästina, sondern die ganze Gemeinschaft bedrohen. Die arabische Welt solle zerteilt werden, die Einheit von Christen und Muslimen in der Levante sei dringend, um den Kräften zu widerstehen, die ihre Gemeinden fragmentieren wollten. Unsere Botschaft war immer und wird immer sein, daß Palästina der Kompaß ist«, betonte Hanna. »Wir, Christen und Muslime der Levante werden in einer Gemeinschaft zusammenstehen. Al Quds (Jerusalem) ist unser Kompaß und Palästina ist unsere Sache.«
Mehr als 70.000 Trauergäste hörten diese und andere Botschaften im Chamille Chamoun Stadion, im Süden von Beirut. Schließlich wandte sich auch Naim Qassem, der langjährige Stellvertreter von Hassan Nasrallah und neue Generalsekretär an die Trauergemeinschaft. 75.000 israelische Soldaten hätten vergeblich versucht, den Libanon einzunehmen, so Qassem weiter.
Anders als die Hisbollah habe sich Israel nicht an das Waffenstillstandsabkommen gehalten und so sehe man sich nun »erneut einer israelischen Besatzung und Aggression gegenüber«. Israel werde politisch nicht erreichen, was es auf dem Schlachtfeld nicht erreicht habe, die Hisbollah werde den Weg von Nasrallah weitergehen. »Palästina und seine Befreiung ist unser Kompaß«, so Qassim. »Der Libanon ist die Heimat seines Volkes und wir gehören zu diesem Volk«.
In den umliegenden Straßen konnten Hunderttausende das Geschehen auf großen Bildschirmen verfolgen. Über den Menschen wehte ein Meer aus Fahnen der Hisbollah, der Amal und Palästinas. Viele trugen Bilder von Nasrallah und Safieddine, teilweise geschmückt mit Blumen oder verbunden mit Bildern von ihren eigenen Angehörigen, die im Libanon bei der Unterstützung des palästinensischen Widerstands zu Märtyrern geworden waren.
Am Nachmittag wurde der Wagen mit den beiden Särgen von den Menschenmassen begleitet. Hassan Nasrallah wurde in einem Mausoleum im Süden von Beirut beigesetzt. Erde von der Al Aqsa Moschee in Jerusalem wurde unter die Erde seines Grabes gemischt. Hashim Safieddine fand seine letzte Ruhestätte am Montag in seinem Heimatdorf Deir Qanoun al-Nahr, (Tyros).
80 Tonnen Sprengstoff gegen Nasrallah
Hassan Nasrallah war am 27. September 2024 mit Vertrauten und Beratern durch einen massiven Angriff der israelischen Luftwaffe in einem Vorort von Beirut gezielt ermordet worden. Safieddine, der unmittelbar danach zum Nachfolger Nasrallahs ernannt worden war, wurde nur wenige Tage später, am 3. Oktober, durch einen israelischen Luftangriff getötet.
Der ehemalige israelische Kriegsminister Yoav Galant hatte kürzlich in einem Interview erklärt, daß für die Tötung von Hassan Nasrallah einen »Erfolg« von 90 Prozent angegeben hatte. Dafür waren 40 Tonnen Sprengstoff eingeplant. Galant ordnete daraufhin an, daß die Sprenglast auf 80 Tonnen verdoppelt werden sollte, um einen 99-prozentigen Erfolg zu gewährleisten.
Der Internationale Gerichtshof hatte am 20. Mai 2024 hinsichtlich »der Situation im Staat Palästina« Haftbefehle gegen drei palästinensische Führer – Yahya Sinwar, Ismail Haniyeh, Mohammed Deif – sowie gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und gegen Yoav Galant Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit Israels Kriegsführung im Gazastreifen erlassen. Israel tötete alle drei palästinensischen Führer außergerichtlich und gezielt.
Als Reaktion auf die Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant verhängte der USA-Kongreß Sanktionen gegen den Internationalen Gerichtshof. Der Vorsitzende Chefankläger Karim A.A. Khan KC wurde anonym bedroht, das Weiße Haus verhängte Anfang Mai 2024 Sanktionen gegen Khan. Es folgte eine Kampagne gegen ihn wegen angeblichen »sexuellen Fehlverhaltens«, was zu seiner Absetzung führte. Der USA-Kongreß verhängte zudem im Februar 2025 Sanktionen gegen den Internationalen Gerichtshof.
Israelische Machtdemonstration
Auch während der Trauerfeier in Beirut war Israel präsent. Kampfjets flogen zwei Mal im Tiefflug über das Chamille Chamoun Stadion. Am Morgen hatten israelische Kampfjets bereits Dörfer im Südlibanon, in der Bekaa-Ebene und bei Tyros bombardiert. Das Geräusch überfliegender israelische Drohnen gehören seit der »Waffenruhe«, die Ende November 2024 vereinbart worden war, zum Alltag der Libanesen.
Die Deutsche Presseagentur (dpa) berichtete, das israelische Medien aus Anlaß der Trauerfeier Videoaufnahmen aus den israelischen Kampfjets veröffentlichte, die den Angriff auf das Wohnviertel in Beirut zeigten. Der israelische Kriegsminister Israel Katz wurde mit den Worten zitiert: »Ihr werdet euch auf Beerdigungen spezialisieren – und wir auf Siege.« Die Trauergemeinde reagierte mit Parolen: »Nieder mit Israel, nieder mit den USA«.
Nach Angaben der dpa werde die Ende November vereinbarte Waffenruhe »weitgehend eingehalten«. Richtig ist allerdings, daß Israel sich vom ersten Tag an nicht an die Vereinbarung gehalten hat. Mehr als 800 Häuser in Dörfern des Südlibanon wurden allein zwischen Anfang Dezember und Anfang Januar von Israel durch Luftangriffe oder Sprengsätze oder Panzerbeschuß zerstört. Angeblich habe es sich um »Waffenlager der Hisbollah« oder »Abschußrampen« gehandelt, so die israelische Armee.
Der vereinbarte Abzug der israelischen Armee nach 60 Tagen am 26. Januar 2025 wurde von Israel nicht eingehalten, auch den zweiten Abzugstermin, der einseitig von den USA auf den 18. Februar 2025 festgelegt worden war, hielt Israel nicht ein. Man werde bis auf weiteres mindestens an fünf Orten im Süden des Libanon bleiben, »um die Sicherheit der israelischen Bewohner im Norden Israels zu gewährleisten«, hieß es. Gegen libanesische Rückkehrer, die an den israelischen Truppen vorbei in ihre Dörfer wollten, ging das Militär mit Schußwaffen vor. Dutzende Frauen, Kinder, Männer wurden getötet, mehr als 130 verletzt. Der ehemalige israelische Kriegsminister Avigdor Liebermann behauptet, daß »Hisbollah in ziviler Kleidung« in die Dörfer entlang der Grenze zurückkehren wolle.
Ministerpräsident Netanjahu kündigte nun an, daß die israelische Besatzung des libanesischen Grenzgebiets so lange anhalten werde, bis der Libanon »alle seine Verpflichtungen des Waffenstillstandsabkommens erfüllt« habe. Die UNIFIL-Mission kritisierte die israelische Weigerung, sich zurückzuziehen. Israel erklärt, die Libanesische Armee habe nur ungenügend die Kontrolle in dem Gebiet übernommen, Hisbollah agiere dort noch immer. Die Libanesische Armee beschuldigt die israelische Armee, die Gebiete nicht freizugeben.
Unklare Lage in Gaza
Der israelische Regierungschef erklärte am Samstag, Israel werde nicht, wie vereinbart, 602 palästinensische Gefangene freilassen. Die Hamas hat Verhandlungen ausgesetzt, bis die Gefangenen wie vereinbart freigelassen werden.
Am Morgen hatten die Qassam-Brigaden in einer siebten vereinbarten Übergabe in Rafah und im Flüchtlingslager Al Nuseirat fünf israelische Gefangene dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) übergeben. Zwei der Gefangenen waren seit zehn Jahren in Gaza festgehalten worden, doch hatte Israel trotz Bitten der Angehörigen kein Interesse gezeigt, sie durch Verhandlungen freizubekommen. Eine sechste Person wurde direkt an das IKRK übergeben. Hisham al-Sayyid sei ein palästinensischer Beduine, der in der israelischen Armee diente, hieß es. Aus Respekt vor ihm und seiner Familie werde es keine öffentliche Übergabe geben.
Drei Gefangene waren Männer, die am 7. Oktober bei dem Musikfestival nahe der Grenze zum Gaza-Streifen entführt worden waren. Alle drei wurden vor der Übergabe an das IKRK auf einer Bühne gezeigt und mit Entlassungspapieren ausgestattet. Einer von ihnen, Omer Shem Tov, wandte sich unvermittelt an die neben ihm stehenden Qassam-Kämpfer und küßte sie auf die Stirn. Beide hatten offenbar den Gefangenen bewacht. Tov, der sich offensichtlich über seine Freilassung freute, winkte der Menge zu und zeigte das »Daumen hoch«-Zeichen.
Die Szene wurde in westlichen Medien verurteilt, im israelischen Fernsehen waren die Aufnahmen kaum zu sehen. Es hieß, die Gefangenen seien mit Beruhigungsmitteln betäubt worden und wüßten nicht, was sie täten. Netanjahu nutzte die Situation, um die zugesagte Freilassung der palästinensischen Gefangenen zu stoppen. Man werde erst dann wieder Gefangene austauschen, wenn die öffentliche und »entwürdigende Zurschaustellung der israelischen Geiseln« unterlassen werde.
Westjordanland unter Besatzung
Während unklar ist, wie es mit der zweiten Phase der Waffenstillstandsvereinbarung für Gaza weitergehen wird, weitet das israelische Militär seine Angriffe im Westjordanland aus. Mit Bulldozern werden Straßen und Häuser zerstört, die israelische Armee ist wieder mit Panzern eingerückt. Im Zentrum der militärischen Angriffe liegen die Flüchtlingslager Jenin, Tulkarem und Nur Shams im Norden des Westjordanlandes. Allein in Jenin wurden mindestens 120 Wohnungen komplett zerstört. Dutzende Menschen wurden festgenommen, mehr als 40.000 Menschen wurden vertrieben. Der UNO-Agentur für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) wurde untersagt, den Menschen dort zu helfen.
Unterstützt wird die israelische Armee von aggressiven Siedlertruppen, die Dörfer überfallen. Die israelische Organisation »Peace Now« teilte mit, daß Israel vorhabe, 1.170 Wohnungen für Siedler im besetzten Westjordanland zu errichten. Die Wohneinheiten sollen in vier illegalen Siedlungen – Gvaot, Itamar, Shaarei Tikva und Givat Zeev – genehmigt werden. Der Plan sei fertig und warte auf die Baugenehmigung des Hohen Planungsrates (HPC), hieß es in einer Erklärung von »Peace Now«.
Allein die Siedlung Gvaot, die unmittelbar neben dem palästinensischen Dorf Nahalin liege, solle 756 neue Wohneinheiten erhalten. Hinzu kämen 250 Wohneinheiten, deren Bau bereits genehmigt worden sei. Damit werde sich die illegale Siedlung auf palästinensischem Land um das Zwanzigfache ausdehnen. In Nahalin leben derzeit 50 palästinensische Familien.
Gemäß dem Internationalen Recht dürfen Besatzerstaaten auf besetztem Boden nicht bauen. Der Internationale Gerichtshof hat im Juli 2024 die Israelische Besatzung des palästinensischen Westjordanland und Ost-Jerusalem für illegal erklärt und Israel aufgefordert, sich aus den besetzten Gebieten sowie aus dem Gaza-Streifen »so schnell wie möglich« zurückzuziehen.