Leitartikel14. Januar 2023

Der Traum vom »Endsieg«

von Uli Brockmeyer

Selten gingen die Frontberichte über den Krieg in der Ukraine und die Realität so weit auseinander wie in den letzten Tagen und Wochen – ein Vergleich mit der Kriegsberichterstattung der deutschen Faschisten verbietet sich hier allerdings von selbst. Während Waleri Saluschny, der oberste Kommandeur der ukrainischen Truppen, also der zweite Mann nach dem Oberbefehlshaber, dem Präsidenten Selenski, in der britischen Zeitschrift »Economist« am 17. Dezember in ungewohnter Offenheit darüber berichtet, daß seine Truppen einer von ihm befürchteten »Winteroffensive« Rußlands nicht standhalten können, verbreiten der Präsident der Ukraine und die von ihm gleichgeschalteten Medien genau das Gegenteil.

Nun muß man natürlich die Aussagen des ukrainischen Generals, von dem Fotos im Netz kursieren, auf denen er ein Armband mit dem Hakenkreuz trägt, auch richtig einordnen. Sein Wehklagen zielt in erster Linie darauf ab, die NATO und ihre Mitgliedstaaten, also auch Luxemburg, direkt in den Krieg gegen Rußland hineinzuziehen. Dazu paßt auch die Aussage des ukrainischen Kriegsministers Resnikow vom gestrigen Freitag gegenüber der BBC, die Ukraine sei »faktisch schon Mitglied der NATO«.

Zunächst geht es allerdings um Waffen, immer mehr Waffen, mit immer größerer Schlagkraft, mit immer größerer Reichweite. Und um mehr Munition, denn die verballert das ukrainische Militär in einem Umfang, daß die Bestände der NATO bereits ziemlich leer sind. Die Anführer der ukrainischen Kriegsmaschinerie predigen unisono, man wolle den Krieg bis zu einem Sieg über Rußland führen, koste es, was es wolle. Und auch aus den Regierungsbüros des »werteorientierten Westen« hört man genau diese Töne. Zwar wird zuweilen auch das Unwort »Verhandlungen« erwähnt, aber dann heißt es sofort, Gespräche könnten »nur zu den Bedingungen der Ukraine« geführt werden.

Die Träume vom »Endsieg« können uns alle teuer zu stehen kommen – und damit ist nicht nur gemeint, daß wir alle mit unseren Steuergeldern die Waffenlieferungen bezahlen. Und auch nicht, daß wir für den Wirtschaftskrieg gegen Rußland immer höhere Preise für Energie, Rohstoffe, Lebensmittel und Dinge des täglichen Gebrauchs schultern sollen.

Die zuständigen Politiker sollten einmal die Frage beantworten, wie ein »Sieg gegen Rußland auf den Schlachtfeld« eigentlich aussehen soll. Erwarten sie wirklich, daß ukrainische Truppen Moskau einnehmen und Selenski eine Siegesparade auf dem Roten Platz abhält, den er zuvor in Bandera-Platz umbenennen läßt? Erwarten sie vielleicht, daß die Atommacht Rußland sämtliche Truppen aus der Ukraine und aus den Gebieten der von Moskau anerkannten Volksrepubliken einfach abzieht und zudem der Ukraine die Halbinsel Krim schenkt, wie einst ein sowjetischer Parteichef?

Der Traum vom »Endsieg« bedeutet eine bisher ungekannte Dimension der Gefahr eines neuen großen Krieges. Jede Rakete, jeder Panzer, jede Granate, die weiter an die Ukraine geliefert werden, verlängern dieses Debakel, bergen die Gefahr einer unkontrollierbaren Ausweitung des Krieges. Wer noch ein wenig Realismus verspürt, muß erkennen, daß dieser Krieg nicht mit einem militärischen Sieg enden kann – weder für die eine, noch für die andere Seite!

Das Gebot der Stunde kann nur sein, endlich das Kriegsgeheul zu beenden, beide Seiten zu Gesprächen ohne jegliche Vorbedingungen aufzufordern, die Sicherheitsbedenken offen auf den Tisch zu legen und ohne Vorbehalte so lange miteinander zu verhandeln, bis endlich Frieden ist.