Leitartikel19. Juni 2021

Faust und das Menschenrecht auf Wohnen

von Alain Herman

Am Schluss des großen Weltgedichts »Faust« von Johann Wolfgang Goethe präsentiert sich der Protagonist als Unternehmer und imperialistischer Machtpolitiker mit titanischen Siedlungsplänen. Herrschaft und Reichtum hat er sich nicht ausschließlich durch »legalen« Handel ergattert – Piraterie und Krieg haben sich hierbei als notwendig erwiesen. Sein Kumpan Mephisto, der Teufel, ist dabei nicht nur der alleinige Verursacher dieser Verbrechen, vielmehr wohnt dieser mit all seiner Zerstörungskraft sowie Rücksichtslosigkeit dem frühkapitalistischen Unternehmer und Machtpolitiker Faust als Alter Ego inne.

Erst kurz vor seinem Tode hat Faust dann doch noch eine humanistische Vision. In seinen letzten Worten scheint er ein progressives Gesellschaftsprogramm zu entwickeln. Faust möchte mit seinem Siedlungsprojekt für Besitz- und Landlose eine Art Utopia erschaffen, d.h. eine moderne Idealgesellschaft, in der die Menschen frei sind und nicht entfremdeter Arbeit nachgehen, in der sie unter menschenwürdigen Umständen sich entfalten können.

Zweifellos offenbart Goethe in seinem Drama bei der Darstellung historischer Entwicklungen eine realistisch-dialektische Auffassungsgabe, gerade die Heraufkunft der kapitalistischen Gesellschaftsformation hat er für das frühe 19. Jahrhundert literarisch einzigartig erfasst. Nun erwies sich Goethe in politischer Hinsicht allerdings als Anhänger eines moderaten Reformismus mit einem gewissen Hang zum Idealismus. Gerade der Schluss der berühmten »Faust«-Tragödie weist diese Tendenzen auf.

Aus reinem Altruismus wird nämlich kein Kapitalist der schaffenden Bevölkerung menschenwürdige Wohninfrastrukturen vermachen. In den bürgerlichen Medien wird zwar tagtäglich die Propagandatrommel für die »philanthropischen« Stiftungen der Superreichen gerührt, doch erweisen sich diese vornehmlich als Konstrukte zur Steuervermeidung oder Methoden zur Kreierung neuer Geschäftsfelder.

Als Reförmchen stellt sich bezüglich der Wohnungsbaufrage ebenfalls der »Pacte logment 2.0« der Luxemburger Regierung heraus, wird mit diesem weder die durch Spekulation im Bauland- und Immobilienbereich hervorgerufene Preisexplosion bekämpft noch die öffentliche Investition in den sozialen Wohnungsbau entscheidend angekurbelt. Es handelt sich schlichtweg – wie vom OGBL korrekt formuliert  – um ein »Einknicken vor den Profitinteressen der privaten Bauträger«. Das Menschenrecht auf Wohnen findet sich nicht im Vokabular Letzterer. Für Kapitalisten und deren politische Wasserträger auf nationaler sowie kommunaler Ebene sind Wohnungen und Bauland Waren, mit denen sich auf Kosten der arbeitenden Menschen bereichert werden kann.

Damit Menschen mit niedrigem respektiv mittlerem Einkommen eine bezahlbare Mietwohnung finden beziehungsweise sich beim Erwerb einer Eigentumswohnung, nicht für Jahrzehnte verschulden und finanziell stark einschränken müssen, bedarf es struktureller gesellschaftlicher Änderungen, das heißt Immobilienhaien und Spekulanten muss durch eine progressive Spekulationssteuer, die Schaffung einer öffentlichen Baulandreserve, die quantitative Begrenzung des Besitzes von Boden respektiv Wohnungen und den Bau von 50.000 öffentlichen Mietwohnungen innerhalb einer Dekade mittels staatlich-kommunaler Bauunternehmen definitiv das Handwerk gelegt werden. Unumgänglich ist zudem ein generelles Verbot für sogenannte »Investitionsfonds«, Grundstücke und Immobilien zu reinen Spekulationszwecken zu erwerben.

Auch sollte der Staat nicht davor zurückschrecken, großen Konzernen, die über viel potenzielles Bauland verfügen und jahrzehntelang von staatlichen Zuwendungen jeglicher Art in Milliardenhöhe – ArcelorMittal zum Beispiel – profitiert haben, das entsprechende Land zwecks Umsetzung des Artikels 25 der UN-Menschenrechte-Charta zu enteignen. Es ist naiv beziehungsweise utopisch, auf die »faustische« Eigeninitiative der Kapitalisten zu hoffen. Der von den Kommunisten aufgezeichnete Weg ist der einzig konsequente.