Ausland10. Januar 2020

Spaltung, Ohnmacht, Schikane, Verarmung

15 Jahre »Hartz IV«: Das Gesetz ist für das Kapital eine Erfolgsstory

Am 1. Januar 2005 trat das »SGB II« in Kraft, besser bekannt als »Hartz IV«. Dieses Gesetz wurde eigens dafür geschaffen, Beschäftigten so viel Angst vor der »Grundsicherung für Arbeitsuchende« zu machen, daß sie fast alle Schweinereien von Unternehmensleitungen ertragen, um nur nicht arbeitslos zu werden. 15 Jahre nach Inkrafttreten läßt sich sagen: Das Gesetz war diesbezüglich ein voller Erfolg. Doch nicht nur das, sondern auch eine fortschreitende Spaltung der arbeitenden Menschen in »Arbeitswillige« – weil in Beschäftigung – und »Arbeitsunwillige« – weil in »Hartz IV«-Bezug – wurde erreicht. Im Zusammenwirken mit den geschürten Vorbehalten gegen Flüchtlinge und Migranten wurde daraus eine Gemengelage, die es rechten Gruppierungen erleichterte, politischen Einfluß zu gewinnen.

Doch wie kommt es, daß sich die hinter dem Gesetz stehenden Absichten auch tatsächlich durchsetzen ließen? Dafür gibt es mehrere Erklärungen. So gibt es einzelne Bestimmungen im Gesetz, die bei den Betroffenen das berechtigte Gefühl des Ausgeliefertseins hervorrufen: Die komplette Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die Pflicht zur Übernahme auch abstruser Jobs oder Arbeitsgelegenheiten, Bewerbungspflicht, auch wenn der Arbeitsmarkt objektiv nichts hergibt, Abschluß von Eingliederungsvereinbarungen, in denen keine konkreten Maßnahmen vereinbart werden, Termine beim »Jobcenter« ohne Ergebnisse, ständiger Wechsel der persönlichen Ansprechpartner und vieles andere.

Hinzu kommen unzureichende Mietobergrenzen, die zur Bezahlung von Mietanteilen aus dem Regelbedarf führen, und Heizkostenpauschalen, die keine Rücksicht auf den tatsächlichen Zustand der Gebäude nehmen.

Beschäftigte, deren Entgelt nicht zum Leben reicht und die deshalb aufstocken müssen, können nicht frei über ihren Erholungsurlaub entscheiden. Sonderzahlungen werden, wenn der Freibetrag ausgeschöpft ist, komplett angerechnet. Das Gleiche gilt für Steuererstattungen. Und dann ist da noch das Sanktionsregime, das bei vermuteten oder tatsächlichen Pflichtverletzungen zu drastischen Kürzungen des Regelbedarfs führt – von den dafür Verantwortlichen als »mildes Mittel zur Lenkung der Betroffenen in die Pflichterfüllung« bezeichnet.

Alles in allem ist es die gesetzliche Verordnung von aktueller Armut und späterer Altersarmut. Das in Klassengesellschaften betriebene Prinzip des »Teile und herrsche« wird im heutigen Monopolkapitalismus auf die Spitze getrieben.

Doch wie sieht die Zukunft von Hartz IV aus? Nicht erst seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen gibt es in verschiedenen Bereichen der bundesdeutschen Gesellschaft Diskussionen über den Sinn oder Unsinn dieses Gesetzes. Daß sich Parteien wie CDU, FDP und AfD keine Gedanken über eine grundgesetzkonforme Grundsicherung machen, dürfte klar sein. Anders sieht es bei den Gewerkschaften, Linkspartei, Grünen und der SPD aus.

Die SPD hat auf ihrem Parteitag Anfang Dezember beschlossen, »Hartz IV« hinter sich zu lassen und ein sogenanntes Bürgergeld einführen zu wollen. Über die konkrete Ausgestaltung sagt die SPD zwar nichts, möchte aber für Betroffene, die aus dem Arbeitslosengeld-I-Bezug kommen, für die ersten zwei Jahre von der Prüfung von Vermögen und Wohnungsgröße freistellen. Die Abschaffung der Sanktionen stand offensichtlich nicht zur Debatte.

Auch auf den Gewerkschaftstagen von IG Metall und ver.di wurden Beschlüsse zu »Hartz IV« gefaßt. So heißt es bei der IG Metall in ihrer Entschließung zur Gesellschaftspolitik zum Thema »Für eine umfassende Absicherung bei Erwerbslosigkeit«: »Die IG Metall fordert eine bessere Absicherung durch die Arbeitslosenversicherung, die wieder zum zentralen Schutzsystem bei Arbeitslosigkeit werden muß. Hierzu gehört die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Zudem muß das Hartz-IV-System zu Gunsten einer solidarischen Form der Grundsicherung überwunden werden. Dazu gehören insbesondere eine Reform der Ermittlung der Regelsätze sowie deren Anhebung, eine Überwindung des Sanktions- und Zumutbarkeitsregimes und des Vermittlungsvorrangs sowie die Vereinfachung der Bedürftigkeitsprüfung und die Durchsetzung individueller Ansprüche.« Der Ruf nach einer solidarischen Grundsicherung ist auch in den Beschlüssen des ver.di-Bundeskongresses zu vernehmen.

Beide Gewerkschaftstage stimmen auch darin überein, bis zur Durchsetzung einer solchen Grundsicherung die bisherigen Regelungen zu verbessern, vor allem höhere und transparent ermittelte Regelbedarfe sowie ein Ende der Sanktions- und Zumutbarkeitsregelungen.

Die DKP hat von Anfang an gefordert: »Hartz IV« muß weg. An seine Stelle sollten unter anderem treten: Bezug von Arbeitslosengeld ohne zeitliche Begrenzung nach Erfüllung der Anwartschaft, die Höhe sollte mindestens 70 Prozent des letzten durchschnittlichen Nettoeinkommens betragen, für jedes Kind 5 Prozent mehr, Berufs- und Qualifikationsschutz muß wieder eingeführt werden, Zumutbarkeitsregelungen sind drastisch zu entschärfen, der Vorrang der Vermittlung muß zugunsten von Qualifikation und Umschulung aufgegeben werden. Die Kolleginnen und Kollegen, die die Anwartschaft nicht erfüllen beziehungsweise deren Einkommen noch nicht ausreicht, müssen eine Grundsicherung bekommen, die ihren Bedarf als Bürger tatsächlich abdeckt und deren Höhe nachvollziehbar ermittelt wurde.

Alle Leistungen, gegebenenfalls auch das Wohngeld, sind unter dem Dach der Agentur für Arbeit zu erbringen, also Leistungen aus einer Hand. Die Arbeitsvermittler müssen zu Partnern der Erwerbslosen werden, sie bei ihrer Stellensuche unterstützen und begleiten und ihnen eben nicht als Kontrolleure gegenüberstehen.

Werner Altmann

Hartz IV ist Armut per Gesetz (Foto dpa)