Leitartikel15. Juli 2021

Umdenken nötig

von

Seit vergangener Woche hat Malta seine Einreisebedingungen massiv verschärft: Nur noch geimpfte Personen sollen auf die Inseln reisen dürfen. Nach einiger Kritik seitens der EU-Kommission wurde diese Verschärfung in Teilen aufgeweicht. Deutschland hat, pünktlich zum Ende der Europameisterschaft, wieder damit begonnen, Länder auf Risikolisten zu setzen, nun aber mitgeteilt, es werde künftig keine normalen Risikoländer mehr geben, sondern nur noch Hochinzidenz- und Variantengebiete. Slowenien geht seit heute den Weg Österreichs mit leichten Abweichungen: Wer einreisen will, muß eines der 3G vorweisen können. Im Gegensatz zur Vorgabe der EU-Kommission gilt diese Nachweispflicht aber auch für den Transitverkehr.

Noch vor einem Monat verkündete die Kommissionschefin in Brüssel, Ursula von der Leyen, vollmundig die Zurückgabe der Reisefreiheit mit Hilfe der neuen Zertifikate, an denen sehr lange herumgefeilt und -diskutiert wurde. Schon jetzt, rund einen Monat danach, zeigt sich, daß doch wieder jedes Mitgliedsland sein eigenes Süppchen kocht.

Über ganz Europa schwebt dabei seit März 2020 wie ein Damoklesschwert die Inzidenz. Darüber, ob diese als alleiniger Maßstab angesichts der steigenden Zahl von geimpften Menschen überhaupt noch eine reelle Gefahrenlage abbildet, wurde in der vergangenen Woche auch in Berlin diskutiert. Dort wurde im vergangenen Frühling spontan der Wert 50 in den Ring geworfen, an dem sich seither ganz Europa zu messen hat.

Die Neuinfektionen in Luxemburg und anderen Ländern haben jedoch gezeigt, daß sich in der Hauptsache jüngere Menschen infiziert haben, die noch nicht geimpft sind und deren Erkrankung sich weit weniger im Krankenhaus-Geschehen widerspiegelt, als die hohen Fallzahlen zu Beginn der Krise, als es noch keine Impfstoffe gab.

Denn wir erinnern uns: Ursprünglich ging es darum, die seit Jahren privatisierten und kaputt gesparten Gesundheitssysteme nicht zu überlasten. Daraus wurde im Laufe eines Jahres ein regelrechter Inzidenz-Fetisch, mit drastischen Folgen für die Bewegungsfreiheit der EU-Bürger. Die schleppende Impfbereitschaft in einigen Ländern trägt mit dazu bei, daß Normalität noch länger auf sich warten lassen wird.

Während der Europameisterschaft setzte die UEFA mit harter Hand ihre Interessen gegen die gastgebenden Staaten durch. Beim Finale in London waren 60.000 Zuschauer ohne Masken und Abstände zugegen, vor dem Stadion weit mehr Menschen. Wenn in einem Monat oder schon früher viele Fußball-Ligen in Europa wieder starten, wird dann wieder, den Inzidenzen folgend, eine Zuschauerzahl festgesetzt, die sich mit viel Glück bei 35 bis 50 Prozent Stadionauslastung befinden wird. Andere Veranstaltungen, wie Musiksommer oder Konzerte haben immer noch mit Absagen zu kämpfen oder mit ähnlich eingeschränkten Besucherzahlen.

Für die Impfkampagnen quer durch Europa wäre es ein Anreiz, würde man etwa ab dem kommenden Monat Großveranstaltungen wieder für geimpfte Personen öffnen, da sie im Falle einer Infektion mit größter Wahrscheinlichkeit das Gesundheitssystem nicht so stark belasten würden. Dies wäre eine Rückkehr zum ursprünglichen Ziel der Einschränkungen. Dies brächte auch einen öffentlichen Impfanreiz mit sich. Denn: Je länger die Impfkampagne dauert, desto größer die Gefahr, daß neue Varianten uns einen Strich durch die Rechnung machen, und umso größer und länger ist der Druck auf die Kulturschaffenden und Vereine, bis wieder Normalität einkehren kann.