Kaleidoskop10. Dezember 2021

Regisseurin Lina Wertmüller mit 93 Jahren gestorben

von dpa/ZLV

Zu ihrem Markenzeichen zählten schräge Brillen. Von ihnen hatte sie tausende gesammelt. Auch sonst war die Frau mit den kurzen, schlohweißen Haaren trotz ihrer nur 1,50 Meter Körpergröße eine auffällige Erscheinung. Als Regisseurin schrieb die Römerin ein Stück Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts. In der Nacht zum Donnerstag ist Lina Wertmüller im Alter von 93 Jahren in Rom gestorben.

Geboren am 14. August 1928 als Tochter eines römischen Rechtsanwalts, dessen Vorfahren einer vornehmen Schweizer Familie entstammten, spiegelte sich die Familiengeschichte schon im langen Namen der Künstlerin wider, denn eigentlich hieß sie Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg Spanol von Braueich. Schon die Kindheit muß turbulent gewesen sein, denn nach eigenen – leicht schwankenden – Angaben wurde sie aus elf bis 15 Schulen hinausgeworfen.

Gegen den Willen ihres Vaters studierte sie an der Theaterhochschule in Rom. Sie arbeitete dann als Journalistin, Schauspielerin, Bühnenbildnerin und Autorin für Funk und Fernsehen. Über eine Freundin fand sie Kontakt zu Regisseur Federico Fellini (»La dolce vita«). Sie arbeitete 1963 als Regieassistentin bei dessen Film »8½«. Noch Jahrzehnte später schwärmte sie in einem Interview von der Zusammenarbeit mit dem Maestro: »Ein Zauberer und Poet« sei er gewesen. Im gleichen Jahr führte sie in »I basilischi« zum ersten Mal selbst Regie.

Der Durchbruch als Regisseurin gelang Wertmüller erst in den 70ern mit einer Serie von Filmen mit dem italienischen Schauspieler Giancarlo Giannini in der Hauptrolle. Für den Skandalfilm »Pasqualino Settebellezze« (1975) wurde sie als erste Frau für den Oscar als beste Regisseurin nominiert. In der Groteske versucht ein neapolitanischer Kleinkrimineller, im Konzentrationslager der Nazis zu überleben, indem er sich der Lagerleiterin sexuell zur Verfügung stellt.

Zu ihren bekanntesten Filmen zählt »Film d'amore e d'anarchia, ovvero stamattina alle 10 in via dei Fiori nella nota casa di tolleranza...« von 1973, in dem ein anarchistischer Bauernbursche ein geplantes Attentat auf Mussolini im Bordell verpennt. Lang ist auch der Titel von »Travolti da un insolito destino nell’azzurro mare d’agosto« (1974) über die skurrile Liebesgeschichte zwischen einer gelangweilten Industriellengattin und ihrem Matrosen, in der sich nach einem Schiffbruch das Herrschaftsverhältnis umkehrt.

Kritiker warfen Wertmüller bisweilen Geschmacklosigkeiten vor oder auch das Bedienen von Italienklischees, aber das hat das Energiebündel nie gestört. Fern der Heimat wurde sie in den USA der 70er zur Kultfigur, man nannte sie »die Heilige von New York«. Sie selbst bezeichnete sich einmal als eine »geniale Idiotin«.

Ihre Vielseitigkeit bewies Wertmüller auch als Opernregisseurin und brachte 1992 eine Neuinszenierung von Georges Bizets »Carmen« zur Eröffnung der Münchner Opernfestspiele auf die Bühne. Nach der Jahrtausendwende wurde es etwas ruhiger um die große Künstlerin.

Im Oktober 2019, da war sie 91, wurde ihr in Los Angeles der Ehren-Oscar für ihr Lebenswerk verliehen und sie bekam einen Stern auf dem Walk of Fame. »Ich habe ein ehrwürdiges Alter, ich weiß, aber ich schaue in die Zukunft. Ich habe so viele Projekte, daß ich bis 130 weitermachen könnte«, sagte sie damals. Im Dezember 2019 führte sie im Teatro Quirino in Rom Regie bei der Komödie »A che servono gli uomini«.

Verheiratet war Wertmüller mit dem Kunstdesigner Enrico Job, den sie um viele Jahre überlebte.