Leitartikel11. Mai 2023

Bis alles in Scherben fällt?

von

Der 8. Mai wird weltweit, vor allem aber in Europa, als Tag der Befreiung vom Faschismus begangen. Dies ist der Tag, an dem 1945 kurz vor Mitternacht örtlicher Zeit im Berliner Stadtteil Karlshorst die letzten verbliebenen Vertreter des Oberkommandos der faschistischen deutschen Wehrmacht die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation ihrer Truppen unterzeichnen mußten.

Den Akt der Unterzeichnung leitete der sowjetische Marschall Shukow, ihm zur Seite saßen die Vertreter der alliierten Armeen der USA, Britanniens und Frankreichs. Wenige Tage zuvor hatten sowjetische Soldaten – Angehörige aller Nationen der Sowjetunion – in Berlin am 1. Mai, dem Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse, die rote Fahne auf dem Gebäude des Reichstages gehißt und einen Tag später die letzten Reste der faschistischen Truppen zerschlagen.

Der 8. Mai ist kein sowjetischer, und erst recht kein russischer Feiertag. Es ist ein Feiertag aller Menschen, für die die Zerschlagung der faschistischen deutschen Militär- und Unterdrückungsmaschinerie eine Befreiung bedeutete und bedeutet. Ebenso wenig ist der 9. Mai, der in der Sowjetunion als Tag des Sieges begangen wurde, »nur« ein sowjetischer, und erst recht kein russischer Feiertag. Der 9. Mai steht symbolisch für alle Angehörigen der Völker der damaligen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als der Tag, an dem ihre Soldaten und Offiziere, ihre Partisaneneinheiten und Widerstandsgruppen gemeinsam mit den alliierten Armeen und den Partisanen und Resistenzorganisationen der besetzten Länder den Triumph über die faschistischen Aggressoren und deren Verbündete feiern und der 60 Millionen Opfer gedenken.

Seit Jahren werden Anstrengungen unternommen, dem 8. Mai und dem 9. Mai ihre historische und symbolische Bedeutung zu entreißen. Eine dieser Attacken ist die Benennung des 9. Mai als »Europatag«. Daß die Präsidentin der EU-Kommission ausgerechnet an diesem Tag einen offiziellen Besuch in Kiew zelebriert und den Krieg gegen Rußland befeuert, ist mehr als bezeichnend für die Gesinnung dieser Dame und die ihrer Umgebung.

Denn das Gedenken an jenen beiden Tagen stand in Berlin, dem Ausgangs- und Endpunkt des faschistischen Krieges, im Jahr 2023 ganz im Zeichen der Verdrehung der Geschichte. Nachdem die Berliner Polizei, bekräftigt durch ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, ein Verbot für sowjetische und russische Symbolik verhängt hatte, sorgten deutsche Polizisten dafür, daß selbst Fahnen griechischer, türkischer und chilenischer Kommunisten einkassiert wurden, weil sie das kommunistische Symbol Hammer und Sichel als ein »sowjetisches« betrachten.

Der ukrainische Präsident verfügte, daß der 9. Mai in der Ukraine nicht mehr als Tag des Sieges begangen wird und vergleicht erneut Nazi-Deutschland mit Rußland, das es militärisch zu besiegen gilt – ganz im Sinne von NATO und EU. Und der Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr erklärt nach einem Besuch in der Ukraine, es sei alles bereit für eine Offensive gegen Rußland. Gleichzeitig werden in deutschen Städten Plakate aufgehängt, auf denen die deutsche Armee erklärt, »was zählt, wenn wir wieder Stärke zeigen müssen«. Wollen sie wieder »marschieren, bis alles in Scherben fällt«?

Es ist Zeit, daran zu erinnern, daß in Litauen auch Luxemburger Soldaten unter dem Kommando deutscher Offiziere auf einen Krieg vorbereitet werden.