Mit Karl Marx und Karl May
Zum Tod von Peter Sodann
Ich will die DDR nicht wiederhaben – aber ich lasse sie mir auch nicht nehmen!« war Resümee seines ersten Lebensabschnitts. Daß sie wenig von Peter Sodann verstanden haben, machten seine bürgerlichen Nachrufer deutlich. Wer die aktuelle »Meinungsbildung« bei den Diktierthemen Ukraine oder Gaza beobachtet, dürfte die SED als sehr nachlässig empfinden: Sodann war 1961 für einen staatsfeindlichen Witz seines Kabaretts zu zehn Jahren Knast verurteilt worden. Nach ein paar Monaten wurde das Urteil in Bewährung umgewandelt, er durfte wieder in die Partei, studieren und bekam dann – anstatt auf ewig geächtet zu bleiben – 1981 eine eigne Theaterintendanz. Er blieb proletarischer Künstler.
Der ein Meter achtundsechzig Kleine mußte auf der Bühne wachsen. Mit tiefer Stimme, langen Spannungsbögen über Sprechpausen, die unter dem argwöhnisch zugekniffenen rechten Auge zum Mitdenken einluden. Ob er nun Karl May las, seinen Liebling Brecht oder ob er den ersten ostdeutschen Tatort-Kommissar Bruno Ehrlicher spielte.
Er war Theaterintendant, Regisseur, Schauspieler, Rundfunksprecher, später Bibliotheksleiter, aber immer: Friedenskämpfer. So sprach er am 15. Februar 2003 neben Konstantin Wecker und Reinhard Mey am »Goldenen Engel« in Berlin vor den 500.000 Menschen gegen eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg davon, wie er seinen Vater an der Ostfront verloren hatte.
In den letzten 15 Jahren war er dann so was wie berufsverboten. 2009 hatte Gregor Gysi Sodann überredet, für »Die Linke« als Bundespräsident zu kandidieren. Gute Freunde hätten ihm dieses gewiß ausgeredet, hätte nicht Gysi den populären Schauspieler beschworen, es vorerst niemandem zu erzählen, schon gar nicht der Führung der Linkspartei. Nutznießer dieses Coups war Gysi. Denn der Ewig-Stasi-Verdächtigte konnte nun neben sich einen Künstler vorzeigen, der selbst in Stasi-Haft gesessen hatte. Zur »Strafe« strich die ARD Sodanns Hauptrollen. Von Gysi kam warmes Beileid.
»Dann kam der Westen über uns. Und der kennt kein Pardon!« sagte er oft. Als wir, Peter Sodann, Norbert Blüm, Michael Letz und ich, mit dem »Heimatabend« auf Theatertournee waren, ging es oft um die »Rachsucht der Bourgeoisie«. Die Stadt Halle hatte Peter Sodann 2005 erst zum Ehrenbürger ernannt und nur wenige Wochen später als Intendant »vor die Tür des Neuen Theaters gesetzt«, das er seit fast 25 Jahren mit eigenen Händen aufgebaut hatte. Das erklärte er sich und anderen so: »Ich hatte wohl dort zu kämpferisch und zu oft den 1. und den 8. Mai gefeiert.«
Hunderttausende Bücher des »Leselands DDR« rettete Sodann vor dem Reißwolf des Wilde-Werte-Westens. Armfuchtelnd hatte er 1990 in Halle Mülllaster aufgehalten, in denen VEB-Gedrucktes abtransportiert werden sollte. In zwei großen Archivgebäuden stampfte er damit die »Peter-Sodann-Bibliothek« aus dem Boden, sammelte, katalogisierte und verlieh Bücher, von denen er fürchten mußte, daß sie ansonsten verbrannt würden. Hoffentlich bleibt dieser Fleck Erde in Staucha mit den Büchern von Irmtraud Morgner, den Strittmatters, Hermann und Immanuel Kant, Walter und Lotte Ulbricht, Christa Wolf, Sabine Kebir und tausenden andern noch lange erhalten!
Bei der Rettung dieses Lesestoffs unserer Zivilisationsgeschichte war Peter Sodann alleingelassen und blieb auf den Kosten sitzen. Gerade von jenen, die sich sonst in seiner Nähe sonnten – aber hinter seinem Rücken den Kopf über den »betenden Kommunisten« und »Putin-Versteher« schüttelten. Dem widerborstigen Streiter stand immer seine Frau Conny zur Seite. Sonst hätte die Krankheit ihn wohl schon eher erwischt.
Ende letzten Jahres fragte er mich, wie wir wieder mehr als »nur ein paar Zehntausend gegen die NATO, für Frieden mit Rußland und in Gaza über alle Parteigrenzen und Blockaden hinweg« mobilisieren könnten. Seine Frage sei hiermit weitergereicht.
Der Autor arbeitete
künstlerisch und politisch eng mit Peter Sodann zusammen, so bei dessen letztem
Bühnenstück »Abs«
mit Hannes Jaenicke.