Luxemburg09. November 2024

Im 11. Jahrhundert schufen Mönche aus Trier und Echternach regelrechte Meisterwerke

Nationalbibliothek kauft für 4,6 Millionen Euro eine fast 1000-jährige Riesenbibel

von Ali Ruckert

Barbarenstämme, unter denen die Germanen vorherrschten, brannten viele Städte des Weströmischen Reiches nieder und vernichteten Paläste, Theater, Schulen und ganze Bibliotheken, so dass Westeuropa für viele Jahrhunderte zu einem kulturell rückschrittlichen Gebiet wurde, in dem Analphabetentum vorherrschte.

Die Kunst des Schreibens erhielt sich hauptsächlich in den christlichen Klöstern, in denen Mönche in lateinischer Sprache christliche Bücher verfassten oder Werke antiker griechischer und römischer Autoren abschrieben. In ihrem eigenen Interesse und aufgrund des Bedarfs der feudalen staatlichen Strukturen trug die Kirche somit dazu bei, Teile der römischen Bildung zu bewahren.

Bücher »heidnischer« Schriftsteller und Gelehrten verbrannt

Gleichzeitig aber vernichteten christliche Eiferer im Auftrag der Kirche in großem Stil unermessliche kulturelle Schätze, indem sie die Bücher »heidnischer« Schriftsteller und Gelehrten verbrannten, denen vorgeworfen wurde, nicht mit den christlichen Lehren übereinzustimmen.

Oft wurden die Illustrationen und Handschriften auf dem Pergament, das sehr teuer war, lediglich abgeschabt, bevor das bearbeitete Kuh- oder Kalbsfell erneut für die Niederschrift von Lebensbeschreibungen von christlichen Heiligen oder für Bibeln verwendet wurde.

Gegen Ende des frühen Mittelalters gehörte die Echternacher Abtei, die im Besitz des Erzbistums Trier war, wegen ihres Skriptoriums, in dem Mönche Manuskripte kopierten, illustrierten, graphisch ausschmückten und durch Bild- und Zierseiten ergänzten, zu den wichtigen intellektuellen und kulturellen Zentren in Westeuropa.

Hier entstanden so wunderschöne Bücher wie der Codex Aureus Epternacensis (das »Goldene Evangelienbuch von Echternach«) und der Codex Aureus Escorialensis, auch bekannt als »Salisches Kaiserevangeliar«, aber auch Bücher über Astronomie, Mathematik und Philosophie.

Im 11. Jahrhundert wurden zuerst in Mittel- und Norditalien meist zweibändige Riesenbibeln hergestellt, dann auch in Skriptorien in anderen Teilen Westeuropas, darunter in St. Maximin in Trier.

220 Blätter aus der Haut von mehr als 230 Kühen und Kälbern

Eine solche 25 Kilogramm schwere Riesenbibel in einem Band mit einer Höhe von 55 Zentimetern und einer Breite von 80 Zentimetern im geöffneten Zustand, welche im Besitz eines reichen Schweizer Privatsammlers war, kaufte vor kurzem die Luxemburger Nationalbibliothek, nachdem sie zuvor lange Verhandlungen mit der mit dem Verkauf beauftragten Gesellschaft geführt hatte.

Die Bibel, die sich aus 220 Blättern zusammensetzt und für deren Herstellung die Haut von mehr als 230 Kühen und Kälbern notwendig war, entstand zum Großteil im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts im Skriptorium des Trierer Klosters. Experten erkennen an den kunstvoll gestalteten Initialen die Echternacher Schreibschule, was nicht verwundern darf, da Trier und Echternach eng zusammenarbeiteten und sich gegenseitig Schreiber und Illustratoren ausliehen.

Allerdings wurde das kostbare Buch bis ins 16. Jahrhundert hinein immer wieder korrigiert und ergänzt, namentlich für den liturgischen Gebrauch in der Abtei von St. Maximin. An ihr arbeiteten mindestens 15 Schreiber über einen Zeitraum von fünf Jahrhunderten.

Die Nationalbibliothek kaufte das fast tausend Jahre alte Meisterwerk, das sich in ausgezeichnetem Zustand befindet, für 4,6 Millionen Euro, die innerhalb von zwei Jahren in Raten gezahlt werden sollen.

Die Neuanschaffung soll ab dem 7. Dezember dieses Jahres und bis zum 8. März 2025 in der Nationalbibliothek ausgestellt werden.

Um die zur Erhaltung der Bibel notwendigen finanziellen Mittel sicherzustellen, ruft die Nationalbibliothek zu Spenden auf, so als habe der Staat, der sich anschickt, 2,81 Milliarden Euro für den Kauf von 186 Militärfahrzeugen auszugeben und hundert Millionen Euro für den Krieg in der Ukraine spendet, nicht genug in der Portokasse hat, um den Erhalt eines Meisterwerks aus dem 11. Jahrhundert zu gewährleisten. Armes Luxemburg!