Ausland18. September 2021

Die Indo-Pazifik-Strategie der EU

Brüssel dringt auf stärkere militärische Präsenz der EU im Indischen und im Pazifischen Ozean. Gleichzeitig forcieren Washington und London die Aufrüstung Australiens gegen China

von German Foreign Policy

Die EU-Kommission präsentiert eine neue Indo-Pazifik-Strategie und dringt auf eine umfassendere militärische Präsenz der EU-Staaten im Indischen und im Pazifischen Ozean. Die Europäische Union müsse nicht nur ihre ökonomischen Beziehungen in die Region ausbauen – insbesondere zu Staaten, die sich gegen China positionieren –, sondern auch häufiger Hafenbesuche sowie gemeinsame Übungen mit Anrainerstaaten durchführen, heißt es in dem Papier, das am Donnerstag in Brüssel vorgestellt wurde. Zudem gelte es »Maritime Interessengebiete im Indo-Pazifik« zu definieren, in denen man besonders eng mit den Anrainern kooperiere, dies auch militärisch.

Von Ostafrika bis zu den Pazifikinseln

Die EU-Kommission fordert in ihrer am Donnerstag publizierten Indo-Pazifik-Strategie den konsequenten Ausbau der Beziehungen zu den Anrainerstaaten des Indischen und des Pazifischen Ozeans. In der »Region« lebten drei Fünftel der Weltbevölkerung, die mittlerweile rund 60 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung erarbeiteten, heißt es in dem Papier; daher gelte es, die Beziehungen in das Gebiet zu intensivieren. Der Indische Ozean sei für die Staaten der EU der »Zugang«; mit seinen Anrainern wolle man deshalb enger zusammenarbeiten.

Angestrebt werde aber auch die engere Kooperation mit den Ländern des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN sowie den Inselstaaten des Pazifischen Ozeans. Eine wichtige Rolle spielten auch die »Überseegebiete« im Indischen und im Pazifischen Ozean, die von Mitgliedstaaten kontrolliert würden. Bei ihnen handelt es sich um von Frankreich beherrschte Territorien, von denen manche von der UNO offiziell als zu entkolonisierende Gebiete (*) eingestuft werden; in mehreren von ihnen kämpfen bis heute Unabhängigkeitsbewegungen gegen die französische Kolonialherrschaft. Mit China, so heißt es in dem Strategiepapier, wolle man dort, wo es den eigenen Interessen entspreche, kooperieren; das gelte etwa auf wirtschaftlichem Gebiet.

Gegen China in Stellung

Im Gegensatz dazu zielt die neue Indo-Pazifik-Strategie jedoch vor allem darauf ab, die EU am Indischen sowie am Pazifischen Ozean gegen die Volksrepublik China in Stellung zu bringen. So sollen Freihandelsabkommen mit Ländern geschlossen werden, die sich entweder – wie Australien und Indien – bereits gegen China positionieren oder die die EU im Machtkampf gegen China fest an ihre Seite zu ziehen hofft, so etwa Neuseeland und Indonesien. Die EU-Kommission strebt zudem »Digitale Partnerschaftsabkommen« mit Japan, Südkorea und Singapur an; auch mit Indien will sie die digitale Kooperation ausbauen.

Nicht zuletzt strebt die Kommission eine umfassende Zusammenarbeit mit den Ländern des »Quad«-Pakts (»Quadrilateral Security Dialogue«) an; dabei handelt es sich um einen Zusammenschluß, dessen einigendes Band vor allem die gemeinsame Rivalität zu China ist. Ihm gehören die USA, Japan, Australien und Indien an.

Darüber hinaus ist in dem Papier von »Grünen Allianzen« und von Forschungs- bzw. Innovationskooperationen die Rede. Ausgebaut werden sollen zudem »Konnektivitätspartnerschaften« insbesondere mit Japan und mit Indien; sie sollen auf die ASEAN-Staaten und womöglich auf den westlichen Indischen Ozean – mehrere Staaten Afrikas also – ausgeweitet werden. Intensivieren will die EU zudem ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Taiwan.

»Maritime Interessengebiete«

Ausführlich widmet sich die Indo-Pazifik-Strategie dem Ausbau der militärischen Kooperation. So will die Kommission nicht nur mehr »Militärberater« in die EU-Delegationen der Länder Asiens und der Pazifikregion entsenden. Darüber hinaus ist die Ausweitung sogenannter »Framework Participation Agreements« geplant, die eine Einbeziehung der jeweils kooperierenden Staaten in gemeinsame »Krisenoperationen« ermöglichen. Im Rahmen eines solchen Abkommens hat bereits im Jahr 2017 Südkorea ein Kriegsschiff in den EU-Einsatz am Horn von Afrika (»Operation Atalanta«) entsandt. Weitere Framework Participation Agreements bestehen bereits mit Australien, Neuseeland und Vietnam.

Die EU will zudem ihre Marinepräsenz im Indischen und im Pazifischen Ozean intensivieren und strebt eine Ausweitung von Hafenbesuchen und gemeinsamen Manövern an. Ein Beispiel dafür bietet die aktuelle Asien-Pazifik-Fahrt der deutschen Fregatte »Bayern«, die am Sonntag den Hafen der pakistanischen Metropole Karatschi verlassen hat und mittlerweile auf dem Weg zum USA-Militärstützpunkt Diego Garcia mitten im Indischen Ozean ist – nach gemeinsamen Übungen mit einer Reihe von Anrainerstaaten. Insbesondere will die EU »Maritime Interessengebiete im Indo-Pazifik« definieren, in denen sie besonders eng mit den Anrainern kooperiert.

Atom-U-Boote und Marschflugkörper

Australien, das die Fregatte »Bayern« nach einem Tankaufenthalt auf Diego Garcia ansteuern wird, hat soeben einen neuen Pakt mit den USA und Britannien geschlossen – gegen China. Der AUKUS-Pakt (Australien, United Kingdom, United States) sieht zunächst Schritte zur Aufrüstung Australiens vor. So soll die Marine des Landes nuklear angetriebene U-Boote erhalten; Australien wäre damit nach den fünf Ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats und Indien das erst siebte Land der Welt, das über Atom-U-Boote verfügen wird. Diese sind schneller als dieselgetriebene U-Boote, haben eine viel größere Reichweite und bieten damit für Kriegsoperationen in den riesigen Weiten des Indischen und des Pazifischen Ozeans erhebliche Vorteile.

Im Rahmen des AUKUS-Pakts wollen die drei beteiligten Staaten zudem im Cyberraum und bei Künstlicher Intelligenz eng zusammenarbeiten; beides hat für künftige Kriege erhebliche Bedeutung. Australien wird zudem Tomahawk-Marschflugkörper erhalten, mit denen es Ziele in großer Entfernung angreifen kann. Das stärkt die Aggressionspotenziale der westlichen Mächte deutlich – und zeigt zudem, wie stark die militärischen Spannungen binnen kurzer Zeit in dem Gebiet eskalieren können, in dem die EU in Zukunft verstärkt operieren will.

Innerwestliche Rivalitäten

Dabei führt der AUKUS-Pakt zugleich zu heftigen innerwestlichen Spannungen. Ursache ist, daß Australien, um die Atom-U-Boote beschaffen zu können, einen 2016 geschlossenen Vertrag mit Frankreich zur Beschaffung von zwölf dieselgetriebenen U-Booten bricht. Damit verliert Paris ein bereits gestartetes Geschäft im Wert von 56 Milliarden Euro an die britisch-US-amerikanische Konkurrenz. Besonders pikant ist, daß Frankreich, wie es heißt, »seinerzeit von Washington unter Druck gesetzt wurde, keine atomgetriebenen Barracuda-U-Boote an Australien zu verkaufen«, wie es in der Freitagausgabe der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« heißt. Das habe »die zeitaufwendige Entwicklung eines Diesel-Elektroantriebs« notwendig gemacht.

Australien habe nun die Verzögerungen zum Anlaß genommen, den Vertrag mit Paris zu kündigen; Washington wiederum liefere nun die nukleare Antriebstechnologie, die in die U-Boote einzubauen es 2016 der französischen Seite untersagt habe. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian sprach am Donnerstag wütend von einem »Schlag in den Rücken« – und kündigte an, seine Regierung sei »mit der Geschichte noch nicht fertig«, schreibt die »FAZ«. Das äußerst voluminöse U-Boot-Geschäft galt als zentrales Element der gerade im Aufschwung befindlichen französisch-australischen Militärkooperation.

* Die UNO verzeichnet unter anderem Neukaledonien und Französisch-Polynesien auf ihrer Liste der »Non-Self-Governing Territories«, die entkolonisiert werden sollen. Mayotte gehörte einst zu den Komoren, wurde aber im Zuge der Entkolonialisierung von Frankreich unter Nutzung fadenscheiniger Argumente von ihnen abgetrennt;
die Komoren fordern die Insel bis heute vergeblich zurück.
Auf Neukaledonien sowie in Französisch-Polynesien kämpfen antikoloniale Unabhängigkeitsbewegungen für ihre Entlassung aus französischer Kolonialherrschaft.