Wenn der Faktor Mensch nur eine untergeordnete Rolle spielt
Im Kapitalismus spielt im Streben nach höchstmöglichem Profit der Faktor Mensch nur eine untergeordnete Rolle. Um ihre Gewinne in weitestem Maße zu maximieren, sind den Herrschenden, denen es seit ihrem vorläufigen Sieg in der Systemauseinandersetzung wieder möglich ist, ihr wahres Gesicht zu zeigen, alle Mittel recht.
Seit dem Beginn der kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftskrise gilt somit in praktisch allen Wirtschaftsbereichen die Parole »mehr Arbeit für weniger Lohn«. Hierzu werden seit Jahren zahlreiche Betriebe umstrukturiert, Produktionen ausgelagert, es wird flexibilisiert, Arbeitszeiten werden wie verrückt dereguliert, Einstiegslöhne gekürzt, Lohntabellen außer Kraft gesetzt, Arbeitszeiten verlängert, Prämien zunehmend vorenthalten. Den Beschäftigten, die durch ihre Arbeitskraft den angestrebten Mehrwert erschaffen, wird dabei jederzeit und allerorts eine Einsatzbereitschaft abverlangt, die in zahlreichen Betrieben die Grenze des Zumutbaren bereits deutlich überschritten hat. Zu diesen Zwecken sind sogar schon des öfteren bestehende Kollektivverträge einseitig von Patronatsseite gekündigt worden.
In Zeiten, die immer mehr von Konkurrenzkampf, Druck und Stress geprägt sind, sind Lohnabhängige, die den zunehmenden Anforderungen nicht oder kaum gewachsen sind, auf Dauer ohne reelle Chance. Sie riskieren unangenehm aufzufallen, auf minder bezahlte Posten versetzt, als untauglich abgestempelt und auf sogenannten »schwarzen Listen« geführt zu werden. Deutlicher ausgedrückt: Sie riskieren immer häufiger ihren Arbeitsplatz zu verlieren, zumal krankheitsbedingte Fehlstunden unerwünscht sind, und daher nicht »unbestraft« bleiben.
Dies erklärt auch, wieso es viele Mitarbeiter immer häufiger vorziehen, sich zu quälen, statt offen im Betrieb über Gesundheitsprobleme zu klagen und sich vom behandelnden Arzt krankschreiben zu lassen. Was auch die seit Jahren stagnierende oder leicht zurückgehende –, und im Vergleich zur Großregion niedrigere Abwesenheitsquoten hierzulande erklären dürfte. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil der Schutz im Krankheitsfall nur zeitlich begrenzt ist, und zunehmend aus Betrieben zu hören ist, dass Teile des Patronats sich über den bestehenden Kündigungsschutz hinwegsetzen und immer rücksichtsloser gegen Krankgeschriebene vorgehen. Opfer sind in der Regel Mitarbeiter, von denen gewusst ist, dass sie entweder nicht gewerkschaftlich organisiert sind oder die Hand immer nur in der Hosentasche zur Faust ballen.
Gleiches gilt übrigens auch bei anderen Verletzungen des Arbeitsrechts durch das Patronat. Ob dabei die vorgegebenen Arbeitszeiten nicht eingehalten, Zuschüsse für Überstunden oder Sonntagsarbeit vorenthalten oder Freistunden nicht gewährt werden, es trifft Lohnabhängige, die sich – nicht zuletzt aufgrund der katastrophalen Situation auf dem Arbeitsmarkt, die wie ein Damoklesschwert über ihnen hängt – kaum wehren immer härter und häufiger als Mitarbeiter, von denen gewusst ist, dass sie nicht alles in Kauf nehmen und nicht davor zurückschrecken, die Personaldelegation – wenn nicht vorhanden, dann die Gewerkschaft – einzuschalten, um sich gegen die Willkür des Patronats zu wehren.
Deshalb werden auch bei Neueinstellungen Arbeitsuchenden stets die besseren Chancen eingeräumt, die beim Vorstellungsgespräch angeben, weder politisch aktiv zu sein, noch einer Gewerkschaft anzugehören.
gilbert simonelli