Totschläger, Totengräber
Gerd Schumann hat einen Nachruf auf Joseph Fischer und Co. geschrieben
In diesen Tagen ist es 150 Jahre her, daß die Pariser Kommune »den Wölfen, Schweinen und gemeinen Hunden der alten Gesellschaft« unterlag. Karl Marx, der bürgerliche Politiker öfter derart betitelte, befand dennoch oder gerade wegen der Charaktere, die zum Abschlachten der Kommunarden anfeuerten: »Wie die Sache auch unmittelbar verlaufe, ein neuer Ausgangspunkt von welthistorischer Wichtigkeit ist gewonnen.«
Läßt sich Ähnliches von der Oktoberrevolution sagen? Wer Chinas Aufstieg zur Weltmacht als historischen Langzeiteffekt der Umwälzung von 1917 sieht, wird das bejahen. Wer die Befreiung Afrikas und des sogenannten Trikont insgesamt vom Kolonialismus nüchtern betrachtet, wird – trotz allem neokolonialen Rollback – dies als das vielleicht wichtigste Resultat der russischen Revolutionen bewerten. Die soziale Frage wird weltweit und nicht zuletzt in den imperialistischen Hauptländern wieder gestellt, das 1990 verkündete »Ende der Geschichte« war der Anfang vom Ende jener Kapazitäten der Bourgeoisie, die es damals verkündeten.
Joseph Fischer gehörte dazu. Der frühere Redakteur der Tageszeitung »junge Welt« und Publizist Gerd Schumann zitiert in seinem Buch »Wollt ihr mich oder eure Träume? Joschka Fischer. Ein Nachruf« den deutschen Exaußenminister mit einer Äußerung von 1992: Vom linken Antikapitalismus bleibe nichts – »Nichts, wenn man die radikale sozialistische Alternative zum Maßstab nimmt und nicht die sozialreformerische Zügelung des privaten Kapitalismus hin zum modernen Sozialstaat«.
Das wurde, so Gerd Schumann, Konsens bei den Grünen. Es ist mehr: ein Glaubensbekenntnis zeitgenössischer westlicher Politik. An ihm klammert sich fest, wer wie Fischer und »große Teile seiner ehemals so kritischen, aufrührerischen Generation« Karriere machen wollte. Sie halfen so mit, einen Weltzustand herbeizuführen, den Gerd Schumann so beschreibt: »Ein Planet mit Apokalypseprognose«.
Fischer gehöre »zu den Totengräbern der Achtundsechziger«, meint der Autor. Nach Lektüre seines Buches läßt sich sagen: Da lieferte einer auch die Leichen, die er bestattete. Fischer ist Totschläger und Totengräber in einem. Im wörtlichen Sinn: Schumann zeigt präzise, daß der Mann Kriegsverbrecher ist. Er gehört als Vorbereiter des Angriffskrieges von 1999 gegen Jugoslawien, als Befürworter der Kriege gegen Afghanistan 2001 und gegen den Irak 2003 vor ein Gericht. Ein gewöhnlicher bürgerlicher Massenmörder. Und er ist es in übertragenem Sinn: Als Antikommunist seit Jugendzeiten, schildert der Autor, kämpfte Fischer zeitlebens gegen alle, die soziale Gleichheit, eine Welt ohne Krieg und ohne Kolonien verwirklichen wollten – wirre Reden, die einen gegenteiligen Eindruck erweckten, eingeschlossen. So einer hatte mit realem Humanismus nie etwas am Hut, und Sozialismus war ihm schon vom 1946 aus Ungarn geflohenen Elternhaus her ein Horror. Er wollte den Tod der Idee. Nach 1990 schloß das auch das Beseitigen von deren Anhängern ein.
Fischers Leistung, besagt Schumanns Buch, besteht darin, eine Partei erfunden zu haben, die Kapitalismus und Krieg fördert, sich aber hemmungslos als links darstellt. Das ist moderner als das SPD-Modell Eduard Bernsteins mit dem drögen »Das Ziel ist nichts, der Weg ist alles«. Im Sponti- und »Putzgruppen«-Milieu, in dem Fischer Politik als Cliquenwirtschaft lernte, wurde die politische Postmoderne praktiziert, bevor es deren Begriff gab: Alles ist zugelassen, Hauptsache, dem Kapital (und jetzt auch CDU/CSU) geschieht nichts. Krieg inbegriffen.
Eine Grüne oder ein Grüner im Kanzleramt wäre die Vollendung des in den 70er Jahren zum Teil spontan entstandenen, zum Teil von Strategen fabrizierten Programms, das Fischer verwirklicht hat. Wie wichtig die »Neuen Philosophen« für ihn waren, zeigt der Verfasser: Sie gaben ihm das »Wer zuerst ›Völkermord‹ ruft, darf schießen« mit auf den Weg. Heute bedarf der Krisenkapitalismus politischen Personals, das liberales Blinken mit kompletter Skrupellosigkeit verbindet – bis hin zum Atomkrieg.
Von solchen Feinheiten hatten die »Wölfe, Schweine und gemeinen Hunde der alten Gesellschaft« 1871 keine Vorstellung. Fischer, aus dessen Biographie Gerd Schumann viele Details berichtet, habe, meint der Autor, »das alles andere in den Schatten stellende Verdienst«, daß Ideale und Träume der Grünen verschwunden seien. Der »kulturpolitischen Wende im Zuge von 68 hätte, rational gedacht, eine politische folgen müssen«. Das sei nicht geschehen. Die »kritische Masse, die sich immer noch an politischen Kernfragen des Systems wie Raketen, Militarisierung, Ökologie und Ausplünderung des Südens bildete«, sei mit Hilfe Grüner und Alternativer »domestiziert« worden. Ein etwas schwaches Wort, wenn z.B. Claudia Roth 2011 zur bestialischen Ermordung Muammar Al-Ghaddafis in Tripolis tanzt.
Es hat seit der Revolte, die zur Gründung der USA führte, immer wieder reaktionäre Aufstände gegeben, die emanzipatorisch daherkamen. »68« war – gemessen an Fischer, heutigen Grünen und ihrem Einfluß im Westen – einer davon. Gerd Schumanns Buch legt den Verdacht nahe: wahrscheinlich der gefährlichste.
Gerd Schumann
Wollt ihr mich
oder eure Träume?
Joschka Fischer.
Ein Nachruf.
Das Neue Berlin, Berlin 2021
189 Seiten, 15 Euro (D)
ISBN 978-3-360-01374-3