Euthanasie, Sterbehilfe oder Palliativmedizin?
Doppelgesetz über selbstbestimmtes Lebensende im französischen Parlament
Seit Anfang dieser und noch bis Ende nächster Woche wird in der Nationalversammlung über das seit Jahren von der Regierung angekündigte und von vielen Franzosen dringend erwartete Gesetz für ein selbstbestimmtes Lebensende debattiert und abgestimmt. Der bereits vor reichlich einem Jahr auf den Weg gebrachte, aber dann wegen Parlamentsauflösung, Neuwahlen und Regierungswechsel in die Warteschleife abgedriftete Text wurde von der Regierung unter Premier François Bayrou in zwei Gesetze aufgeteilt, die aber inhaltlich zusammengehören und jetzt auch zusammen behandelt werden.
Zum Gesetz über den landesweiten Ausbau der Palliativmedizin gibt es eine so breite Zustimmung quer durch das gesamte politische Lager, daß der Text vor Tagen in der Kommissionssitzung, die die Plenardebatte vorbereitet, bereits einstimmig befürwortet wurde.
Ganz anders das zweite Gesetz über Euthanasie und Sterbehilfe, wo die Meinungen zwischen den verschiedenen Parteien und oft sogar innerhalb eines politischen Lagers auseinandergehen und heftige Debatten erwarten lassen. Vor dieser Polemik wollte Bayrou das Palliativmedizingesetz schützen, indem er es als separates abgetrennt hat. Das ist kein Zufall, denn vom Premier weiß man, daß er strengkatholisch ist und der Sterbehilfe mehr als reserviert gegenübersteht. Anders Präsident Emmanuel Macron, der bei dem brisanten Thema sowohl die fortschrittlichen Kräfte als auch die eher konservativen Franzosen für eine Änderung der Rechtslage zu gewinnen sucht.
Dabei hat Macron aber stets deutlich gemacht, daß er das sehr weitgehende belgisch-niederländische Euthanasiemodell ablehnt, das vor Monaten sogar auf minderjährige und geisteskranke Patienten ausgeweitet wurde, die jetzt auch Sterbehilfe beanspruchen können. Er steht dem Schweizer Modell der Suizidhilfe näher, ohne jedoch so weit zu gehen wie dieses und auch ohne die beiden Begriffe zu verwenden. »Die Bezeichnung, die wir für das französische Modell gewählt haben, ist Hilfe beim Sterben, denn das ist schlicht und human«, hat er in einem Interview präzisiert. Das Gesetz solle kein »Anrecht« schaffen, sondern eine »Möglichkeit« eröffnen. Für Frankreich wäre das jedoch schon ein großer Schritt, nachdem zuletzt 2016 durch das Gesetz Claeys-Leonetti die medikamentöse »tiefe Sedierung« von ins Koma gefallenen unheilbar kranken Patienten bis zum Eintritt des Todes erlaubt wurde, wenn dies die betreffende Person vorab in ihrer Patientenverfügung gewünscht oder nicht ausgeschlossen hatte.
Doch das ging vielen Franzosen nicht weit genug und sie forderten nachdrücklich Euthanasie, also aktive Sterbehilfe durch einen Mediziner, oder zumindest Suizidhilfe durch Bereitstellung eines durch den Patienten selbst einzunehmenden tödlichen Medikaments. Daher hatte Macron Anfang 2023 per Los ein fast 200 Personen umfassendes repräsentatives Konvent einberufen, das über mehrere Monate hinweg über das Thema diskutiert und am Ende eine Serie von Vorschlägen gemacht hat. Diese gingen teilweise sehr weit und sicher nicht zuletzt um das auszugleichen, hat Macron mehrfach die eher kritischen Vertreter der Ärzteschaft und der verschiedenen Religionsgemeinschaften konsultiert.
Der Ende 2023 vorgelegte und jetzt reaktivierte Gesetzestext soll ein Kompromiß sein. Dabei wird Sterbehilfe von vier Vorbedingungen abhängig gemacht. So sollen nur Erwachsene in Frage kommen, die über ihre uneingeschränkte Geistes- und Urteilsfähigkeit verfügen, also keine Kinder und Jugendlichen oder beispielsweise keine Alzheimerkranken. Die zweite Bedingung ist, daß sie eine unheilbare Krankheit haben, an der sie kurz- oder mittelfristig sterben würden und die ihnen Schmerzen bereiten, gegen die es keine wirksamen Mittel gibt. Die Entscheidung soll ein Kollegium von Ärzten fällen. Wenn dem Wunsch des Patienten nach Sterbehilfe entsprochen wird, bekommt er das Medikament im Krankenhaus und kann es dort oder zu Hause selbst nehmen oder – wenn dies aufgrund seines körperlichen Zustands nicht möglich ist – sich durch eine Person seiner Wahl verabreichen lassen.
Kritikern mißfällt an dem Gesetzentwurf vor allem, daß dem Ärztekollegium das entscheidende Urteilsrecht zuerkannt wird, obwohl es doch eigentlich um das Schicksal eines Patienten geht.
Auf der Gegenseite haben die katholische Kirche und andere Religionsgemeinschaften das geplante Gesetz bereits scharf abgelehnt, ebenso Politiker der rechten Oppositionspartei der Republikaner und der rechtsextremen Bewegung Rassemblement National. Aber auch viele Ärzte und Angehörige des Pflegepersonals äußern Besorgnis und Kritik oder weisen das Gesetz pauschal zurück, weil sie sich mehr dem Auftrag verpflichtet fühlen, zu heilen oder zumindest zu lindern und nicht Leben vorzeitig zu beenden.
Wenn von den Gegnern des Gesetzes auf die Möglichkeiten einer schmerzlindernden Begleitung bis zum Tod durch Palliativmedizin hingewiesen wird, so ist das scheinheilig oder zumindest wirklichkeitsfremd, denn in 21 der 100 französischen Départements gibt es keinerlei Struktur oder Personal dafür und in den anderen reichen diese nicht aus. Darum jetzt das Gesetz, das ausschließlich diesem Anliegen gewidmet ist. Es wird auch Zeit, denn beispielsweise hat im vergangenen Jahr nur jeder zweite sterbenskranke Franzose, der Anspruch auf palliativmedizinische Betreuung gehabt hätte, diese auch wirklich bekommen. Da ist es nicht verwunderlich, daß sich Umfragen zufolge 83 Prozent der Franzosen entschieden für Sterbehilfe aussprechen.