Musikalischer Alleskönner pfeift auf aktuelle Trends:
Joe Jackson spielt im Herbst in Luxemburg
Joe Jackson ist nicht unbedingt ein Nostalgiker. Mit seiner Vergangenheit will sich der facettenreiche britische Songwriter, Sänger und Multiinstrumentalist nicht allzu ausführlich beschäftigen. »Ich denke hauptsächlich über das nach, was ich jetzt gerade mache, und über das, was ich als nächstes machen werde – immer«, sagte er dem Magazin »Classic Pop«. Sein 70. Geburtstag am 11. August wird deshalb vermutlich kein Anlaß für einen ausgiebigen Rückblick sein. Wahrscheinlicher ist, daß Jackson schon an seinem nächsten musikalischen Projekt arbeitet.
Zum 40. Jubiläum seines Debütalbums »Look Sharp!« gönnte er sich und seinen Fans 2019 eine Tournee mit Songs aus fünf Dekaden, um »zu feiern, daß es mich immer noch gibt«. Im »Classic Pop«-Interview zog er seinerzeit Bilanz. »Ich glaube, ich bin einfach nur besser geworden. Ich bin ein wesentlich besserer Sänger und ein wesentlich besserer Klavierspieler als zu Beginn meiner Karriere.«
Auch als Songwriter sei er gewachsen, meinte Jackson, wohl wissend, daß das mit Blick auf seine frühen Albumklassiker eine zumindest diskutierbare Aussage ist. »Das ist subjektiv. Und dann ist da immer der Nostalgiefaktor: Egal was du machst, die Leute sagen: "Oh, das ist nicht so gut wie das erste Album." Das bereitet mir keine schlaflosen Nächte.«
Geboren 1954 im englischen Burton-upon-Trent als David Ian Jackson gab er sich als Kind selbst den Namen Joe und änderte ihn mit 20 Jahren auch offiziell. Früh begann er mit dem Klavierspiel und lernte auch andere Instrumente. Schon als Teenager war er ein »Beethovenfanatiker«. Mit dem Segen der Eltern trat er in rauen Bars auf. Und er entdeckte den Jazz für sich.
Die musikalische Begabung des Jungen, der von seinen Mitschülern gemobbt wurde, war früh offensichtlich. Er bekam ein Stipendium an der Royal Academy of Music in London, wo er Komposition, Klavier und Schlagzeug studierte. Dort entwickelte er auch ein tiefes Verständnis für klassische Musik, das seine späteren Werke maßgeblich beeinflußte.
Der Durchbruch kam 1979 mit »Look Sharp!«. Das Debüt enthält seinen ikonischen Song »Is She Really Going Out with Him?«, der Jackson sofort als markanten neuen Künstler der New-Wave- und Post-Punk-Ära etablierte. Dabei ist er kein typischer Vertreter des Genres und läßt sich nicht in irgendeine musikalische Schublade stecken.
Er veröffentlichte in kurzem Abstand mehrere Studioalben. Sein fünftes, »Night and Day«, ist eine Hommage an die Komponistenlegende Cole Porter (»Kiss Me, Kate«, »Anything Goes«) und seine Wahlheimat New York City. Es wurde ein riesiger kommerzieller Erfolg, die Ohrwurmsingle »Steppin' Out« wurde für zwei Grammys nominiert. Wenn Joe Jackson heute im Radio zu hören ist, dann fast ausnahmslos damit. Das Lied spielte er auch bei seinen Rückschaukonzerten im Jahr 2019 und verriet, daß er bis auf das Schlagzeug alle Instrumente auf der Aufnahme selbst gespielt hat.
Trends scheren ihn nicht. Beinahe mit jedem Album probiert er etwas Neues aus. Auf »Body And Soul« (1984) mischte er Pop mit lateinamerikanischer Musik und Jazz. Auf »Will Power« (1987) experimentierte er zum ersten Mal mit Klassik. Und auf »Blaze Of Glory« (1989), seinem zynischen Abgesang auf die 80er, wird er mühelos zum Rockmusiker. Das Album, auf das er besonders stolz ist, verkauft sich aber nicht so gut wie erwartet.
Jackson mußte feststellen, daß künstlerischer nicht immer auch kommerzieller Erfolg bedeutet. Trotzdem bleibt er sich treu. Ihm ist die Kreativität wichtiger als die Popularität und mögliche Charterfolge. Die einzige Konstante in seiner Musik sind seine intelligenten Texte und die lyrische Tiefe. Obendrein komponiert er auch Filmmusik, unter anderem für Francis Ford Coppolas Filmbiografie »Tucker: The Man and His Dream«.
Im neuen Jahrzehnt stand Jackson plötzlich vor einer Herausforderung. »Es gab einen Punkt in den 90ern, wo ich das Gefühl hatte, daß ich überhaupt nicht mehr in die Popwelt passe. Ich wollte keine Popmusik mehr machen. Ich hatte eine ernste Schreibblockade in den frühen 90er Jahren.« Doch das gab sich bald. Während viele seiner Zeitgenossen mehr oder weniger erfolgreich an bewährten Erfolgsformeln festhielten, machte sich Jackson davon völlig frei. Nach Pop und Rock widmete er sich vollends der Klassik. 1994 veröffentlichte er »Night Music«, 1997 folgte »Heaven & Hell«.
Für »Symphony Vol. 1« (1999) wurde er nach mehreren Nominierungen mit einem Grammy ausgezeichnet – in der Kategorie »Best Pop Instrumental Album«. Auf dem Album, an dem Hardrock-Gitarrist Steve Vai mitwirkte, kombinierte er Jazz, Klassik, Pop und Rock. Ein Jahr später knüpfte er an sein Erfolgsalbum von 1982 an. Mit »Night And Day II« gelang ihm ein musikalisch vielseitiger Nachfolger.
Berichten zufolge lebt Joe Jackson abwechselnd in Berlin und New York. Beruflich bleibt er rastlos. Auf seinem im November 2023 veröffentlichten bislang letzten Album »What a Racket!« singt er die Songs eines fiktiven Music-Hall-Entertainers namens Max Champion aus dem frühen 20. Jahrhundert, vorgetragen mit einem zwölfköpfigen Orchester.