Leitartikel29. März 2024

Alle Jahre wieder Sommerzeit-Streit

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Seit 1996 stellen die Bürger in den EU-Ländern einheitlich ihre Uhren am letzten Sonntag im März auf Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ) und am letzten Oktober-Sonntag wieder eine Stunde zurück auf Normalzeit (MEZ), im Volksmund auch Winterzeit genannt. Mit dieser Praxis könnte irgendwann Schluß sein.

Denn die Abgeordneten des EU-Parlaments forderten am 8. Februar 2018 mehrheitlich die EU-Kommission auf, eine »gründliche Bewertung der Richtlinie über die Regelung der Sommerzeit vorzunehmen und gegebenenfalls einen Vorschlag zu ihrer Überarbeitung vorzulegen«. Vom 5. Juli bis 16. August 2018 konnten sich mehr als 500 Millionen EU-Bürger online zur Beibehaltung oder Abschaffung der Zeitumstellung äußern. In der Umfrage sprachen sich 84 Prozent der Teilnehmer für eine Abschaffung der Zeitumstellung aus. Die Umfrage gilt nicht als repräsentativ. Das wäre auch sehr fragwürdig, war die Beteiligung in den Mitgliedsstaaten doch marginal. In Deutschland etwa lag die Beteiligung bei unter 4 Prozent, in Österreich unter 3 Prozent und in Luxemburg weit unter 2 Prozent. In zahlreichen anderen Staaten unter 0,2 Prozent.

Regelmäßig wird das Thema in den Tagen vor Umstellungen aus der Schublade gezerrt, um Diskussionen anzuheizen. In sozialen Netzwerken wird geklagt, daß eine Stunde zweimal im Jahr einen schlimmen Eingriff in die körperliche Verfassung bedeute, und vor einiger Zeit argumentierte eine liberale deutsche EU-Abgeordnete gar mit einer Horrorliste von steigenden Krankmeldungen, Schlafmangel und mehr Herzinfarkten durch den »Jetlag«.

Einem Artikel zufolge, der auch auf der Plattform Science.lu verbreitet wird, liefere der aktuelle Informationsstand der Experten keine konkreten Hinweise darauf, daß die zweimalige Umstellung pro Jahr nennenswerte Auswirkungen auf Energie, Wirtschaft oder Gesundheit habe. Dies gehe aus einem Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag hervor.

In einer Studie des deutschen Sozialversicherungsträgers DAK hieß es schon vor längerer Zeit, daß derlei Risiken, etwa durch Schlafmangel, hauptsächlich bei vorbelasteten Menschen aufträten. Wissenschaftler der Universität Münster betonten hingegen die Vorteile der Sommerzeit. Etwa dadurch, daß der Mensch mehr Licht ausgesetzt sei. Sie rieten zu lediglich 15 Minuten früherer Bettruhe in den Tagen vor der Umstellung zur Umgewöhnung. Die biologischen Auswirkungen seien kurzfristiger als viele Abschaffungsbefürworter meinten.

Effektiv liegen die Vorteile der MESZ auf der Hand: Die Sommerzeit sorgt durch mehr Licht für bessere Stimmung und auch dafür, daß es dem Körper besser geht. Der abseits der Lohnarbeit nutzbare Anteil eines Tages wird deutlich vergrößert. Auch die Straßensicherheit oder Kriminalitätsstatistiken sollen sich verbessern, heißt es. Selten aber wird die Daseinsberechtigung der Sommerzeit unter anderen als ökonomischen oder bizarr überhöhten Gesundheitsargumenten diskutiert.

Dazu kommt die Frage einer Alternative zur Umstellung? Die Normalzeit (Winterzeit) würde dazu führen, daß es Ende August in einigen Gegenden um kurz nach 19 Uhr dunkel wird. Die Unterschiede von West- zu Osteuropa wären gravierend. Eine Einteilung der EU in Zeitzonen wird ebenfalls diskutiert. Wer dann in Schengen über die Grenze will, um in Perl noch schnell was einzukaufen, müßte dann an die andere Zeitzone denken, der Deutschland angehören könnte.

Demgegenüber stellt der Status quo der MESZ wohl den einfachsten Weg dar. Und die EU hat derzeit wohl auch andere Sorgen, als dieses Thema.