Die Militarisierung des Mittelmeers
Deutschland rüstet die ägyptische Marine massiv auf. Deren Hauptrivale, die Türkei, operiert ebenfalls mit deutschen Kriegsschiffen.
Mit der Aufrüstung der Seestreitkräfte Ägyptens intensiviert die Bundesrepublik Deutschland die Militarisierung des östlichen Mittelmeers. Parallel zur Übergabe eines vierten deutschen U-Boots an die ägyptische Marine wird kommendes Jahr die Werft Alexandria Shipyard eine erste deutsche MEKO-Fregatte von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) montieren. Darüber hinaus erhält Kairo aus Deutschland insgesamt neun Patrouillenboote, die eigentlich an Saudi-Arabien verkauft werden sollten. Dem Verkauf deutscher Kriegsschiffe an Ägypten stehen die brutalen Menschenrechtsverbrechen der in Kairo blutig herrschenden Militärs aus Sicht Berlins nicht im Wege.
Top-Großwaffenlieferant
Kriegsgerät in gewissem Umfang liefert die Bundesrepublik schon seit vielen Jahren an Ägypten. Die Bestände der ägyptischen Streitkräfte sind bis heute davon geprägt, daß bis Mitte der 1970er Jahre die Sowjetunion, danach dann die Vereinigten Staaten ihr bevorzugter Lieferant waren. Dennoch erhielt Kairo seit dem Jahr 2000 aus Altbeständen der Bundeswehr etwa 74 Übungsflugzeuge (»Grob 115 EG«), 60 gepanzerte Mannschaftstransporter (»Terrier LAU«) sowie fünf Flugkörperschnellboote der »Tiger«-Klasse, die nach Entwürfen der Bremer Lürssen-Werft in Frankreich hergestellt worden waren. Größere Aufträge ließen freilich auf sich warten.
Eine Wende zeichnete sich ab, als nach dem ägyptischen Militärputsch vom 3. Juli 2013 das Verhältnis zwischen Kairo und Washington spürbar schlechter wurde. Damals begann Ägypten engere Beziehungen zu Rußland und China sowie zu einigen EU-Staaten aufzubauen, darunter Frankreich und Deutschland. Dies schlug sich bald auch in Verschiebungen bei den ägyptischen Rüstungskäufen nieder. In den Jahren von 2015 bis 2019 waren die USA nur noch Kairos drittgrößter Lieferant von Großwaffensystemen nach Frankreich sowie Rußland. Auf Platz vier folgte die BRD.
U-Boote, Fregatten, Patrouillenboote
Der steile Anstieg deutscher Rüstungslieferungen begann im Jahr 2016 mit dem Export des ersten von insgesamt vier U-Booten aus der Produktion von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS). Es handelt sich um U-Boote der Klasse 209, deren drittes im April an Ägypten übergeben wurde; die Übergabe des vierten und – vorläufig – letzten ist für das kommende Jahr geplant. Zusätzlich erhält die ägyptische Kriegsmarine vier Fregatten der MEKO-Klasse von TKMS; sie werden, beginnend im Jahr 2021, von der ägyptischen Werft Alexandria Shipyard gebaut. Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil die ägyptischen Streitkräfte sich bemühen, ihre Rüstungsproduktion zu modernisieren.
Im September 2018 hatte die Alexandria Shipyard eine erste, von der Naval Group mit Sitz in Paris entworfene Gowind-Korvette fertigstellen können - das erste im modernen Ägypten gebaute Kriegsschiff überhaupt. Der Bau der MEKO-Fregatten stärkt die Fähigkeiten der Werft weiter. Anfang November wurde bekannt, daß die ägyptische Kriegsmarine zudem neun Patrouillenboote und ein Küstenschutzboot erhält, die sämtlich von der deutschen Lürssen-Werft konstruiert wurden. Der Wert der Lieferung wird auf rund 130 Millionen Euro beziffert. Im Falle der U-Boote und der Fregatten war jeweils von einer Milliardensumme die Rede.
Aufrüstung trotz Kriegsbeteiligung
Entsprachen die Lieferung der U-Boote sowie der Fregatten langfristiger Planung, so handelt es sich beim Verkauf der Patrouillenboote um ein eher kurzfristig eingefädeltes Geschäft: Es entstand aus der Suche nach einem Abnehmer für Boote, die ursprünglich an Saudi-Arabien hatten geliefert werden sollen, was dann allerdings wegen des Waffenembargos nach der Zerstückelung des Regimegegners Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul nicht mehr möglich war. Die saudischen Streitkräfte hatten bis dahin bereits 15 Patrouillenboote erhalten; für den Erwerb der bereits fertiggestellten, aber nicht mehr auslieferbaren Modelle konnte Kairo gewonnen werden.
Begründet wurde das Embargo gegen Saudi-Arabien auch mit dessen Kriegführung im Jemen, der zahllose Zivilisten zum Opfer gefallen sind. Allerdings beteiligt sich auch Ägypten an dem Krieg. So hatte die ägyptische Marine bereits im Jahr 2015 vier Kriegsschiffe am Bab al Mandab stationiert, der Meerenge zwischen Dschibuti und dem Jemen an der Zufahrt zum Roten Meer, von wo aus sie Operationen der saudisch geführten Kriegskoalition unterstützte. Im August 2018 bekräftigte Außenminister Sameh Shoukry ausdrücklich, die Beteiligung der ägyptischen Marine stehe keinesfalls in Frage.
Ägyptische Manöver
Die ägyptischen Seestreitkräfte weiten seit geraumer Zeit ihren Aktionsradius systematisch aus. Anlaß ist nicht nur das Bestreben, die ägyptischen Erdgasfelder im östlichen Mittelmeer absichern zu können. Die in Kairo herrschenden Militärs stehen in erbitterter Feindschaft zu der international vernetzten Muslimbruderschaft, mit der wiederum die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan eng kooperiert; entsprechend suchen sie die militärische Zusammenarbeit mit Staaten, die ihrerseits Konflikte mit Ankara unterhalten.
Seit 2014 finden gemeinsame ägyptisch-griechische Manöver im Mittelmeer statt, an denen sich seit 2018 auch Zypern beteiligt; dabei sind die Seestreitkräfte Ägyptens und Griechenlands gleichermaßen mit deutschen Kriegsschiffen ausgestattet – ganz wie auch die Kriegsmarine ihres potenziellen Gegners Türkei. Im November führten die ägyptische sowie die französische Marine ein gemeinsames Manöver durch; hinzu kam eine Übung in amphibischer Kriegführung, die die Streitkräfte Ägyptens und Britanniens gemeinsam abhielten. Die ägyptische Marine führt zudem nicht nur Manöver im Roten Meer durch – zuletzt gemeinsam mit sudanesischen Einheiten –, sondern mittlerweile auch im Schwarzen Meer; dort operiert sie im Verbund mit russischem Militär.
Verbrechen gegen Menschenrechte
Die deutsche Beteiligung an der Aufrüstung Ägyptens ist ein – erneuter – Beleg dafür, daß die vorgebliche Sorge der deutschen Bundesregierung um Menschenrechte nicht an der Sache orientiert, sondern vor allem ein Instrument im Kampf gegen rivalisierende oder gegnerische Staaten ist. Ginge es Berlin tatsächlich um Menschenrechte, dann wäre eine Genehmigung von Rüstungslieferungen an Ägypten undenkbar.
Die ägyptischen Behörden gehen mit brutaler Repression gegen jede Opposition vor. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Anzahl der politischen Gefangenen in dem Land auf 60.000. Im September 2019 wurden nach Massenprotesten gegen Korruption mehr als 4.000 Demonstranten festgenommen; mindestens 3.715 von ihnen wurden nach Angaben von Amnesty International mit »Terrorismus«-Vorwürfen konfrontiert.
Die Haftbedingungen gelten als katastrophal; Folter ist – nicht nur in Haft – verbreitet. Regierungsgegner kommen zuweilen zu Tode, da ihnen im Gefängnis angemessene medizinische Versorgung verweigert wird. Zuletzt sorgte für Schlagzeilen, daß drei Mitglieder der Egyptian Initiative for Personal Rights wegen ihres Kampfs für Menschenrechte inhaftiert wurden. Der Fall hat größere Aufmerksamkeit erlangt, weil die Organisation seit Jahren Kontakt zum Berliner Auswärtigen Amt unterhält. Entsprechend veröffentlichte das Ministerium unter seinem Chef Heiko Maas eine wortreiche Protestnote. Praktische Konsequenzen – etwa die sofortige Einstellung der deutschen Rüstungsexporte – zog die deutsche Bundesregierung dagegen selbstverständlich nicht.
German Foreign Policy
Patrouillenboote, die eigentlich für Saudi-Arabien bestimmt waren, liegen bereit zur Auslieferung nach Ägypten auf dem Werftgelände der zur Lürssen-Werftengruppe gehörenden Peene-Werft in Wolgast (Foto: Stefan Sauer/dpa)