Ausland04. August 2020

Mächtige politische Akteure

Polizeigewerkschaften in den USA verhindern Reformen

Die Black-Lives-Matter-Bewegung prallt ab an den seit Jahrzehnten etablierten Polizeigewerkschaften der USA. An manchen Orten erfolgen Reformen, aber strukturellen Veränderungen stehen die Cop-Gewerkschaften im Weg.

Polizeigewerkschaften sind in der Defensive. Das ist der Black-Live-Matter-Bewegung zu verdanken. Sie macht nach dem Tod von George Floyd seit Wochen mit Demonstrationen in Großstädten, aber auch bis in kleinste Ortschaften in erzkonservativen Landstrichen hinein auf sich aufmerksam. Nicht selten steht dabei zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert das örtliche Polizeirevier unter Rechtfertigungsdruck.

Aber wie lange kann der Druck aufrecht erhalten werden, fragen sich derzeit Viele. Denn die Bewegung ist, von Repression beeinträchtigt und nicht zuletzt coronabedingt, müde geworden. Dagegen haben die Polizeigewerkschaften gerade auf kommunaler Ebene Machtpositionen inne, auf die sie sich seit Jahrzehnten stützen können. Sie zählen zu den mächtigsten Lobbygruppen, die Politiker zu Fall bringen oder in Ämter hieven können. Deshalb konnten sie von »Republikanern« wie »Demokraten« unbehelligt agieren. Gerade in Großstädten der USA gehören sie zu den mächtigsten politischen Akteuren.

Die Macht haben sie teilweise, weil sie ihre Mitglieder zu Stimmabgaben bei örtlichen Wahlen mobilisieren können. Etwa 700.000 Polizi­sten sind in Gewerkschaften organisiert. Für die 18.000 Polizeireviere in den USA bedeutet dies allein schon quantitativ Macht.

Darüber hinaus verfügen die »cop unions« über sehr viel Geld. In den größten Städten wie New York, Chicago und Los Angeles stehen ihnen jährlich Millionen von Dollars zur Verfügung, um Politik zu beeinflussen. Bevorzugte Politiker können so mit teuren Werbekampagnen vor Angriffen geschützt, Reformer und Plebiszite neutralisiert und ausgeschaltet werden. Wer von Gewerkschaften als »soft on crime«, als zu nachsichtig gegenüber Verbrechern diffamiert wird, hat Probleme. »Sie bestehen auf öffentlichen Respektbekundungen, und Bürgermeister, die ihnen nicht gefallen, erniedrigen sie in der Öffentlichkeit«, hieß es kürzlich dazu in einem Feature in der Zeitschrift »New Yorker«. Selbst Polizeichefs, die den Cop-Gewerkschaften mißfallen, etwa wenn sie übergriffige Polizisten wegen Gewaltanwendung oder Korruption entlassen wollen, seien nicht vor ihnen sicher und müßten gegebenenfalls mit einer Schmutzkampagne rechnen.

Nachgewiesen sind rund 1.000 getötete USA-Bürger, darunter überproportionale viele Schwarze, die jährlich Polizeikugeln – oder Würgegriffen – zum Opfer fallen. Die Dunkelziffer liegt viel höher, weil es kein USA-weites Erfassungssystem gibt und etliche Polizeien Todesfälle nicht an höhere Stellen weitermelden. Trotzdem gibt es nur in seltenen Fällen Nachforschungen. Dafür sorgt die »wall of silence«, eine Polizeikultur der »Mauer des Schweigens«, die kritische Nachfragen von Kollegen im Ansatz erstickt und bei Bedarf auch den Verräter-Vorwurf bemüht.

Polizeigewerkschaften sorgen für ihre Mitglieder. Nicht umsonst tragen manche der Verbände den Namen »brotherhood« (Bruderschaft) oder »fraternal order« (Bruderschaftsorden). Ein Kollege, der wegen eines brutalen Übergriffs in die Bredouille geraten ist, kann umgehend mit Gratis-Anwälten rechnen, für die die jeweilige Kommune aufkommt. Ein Cop, gegen den ermittelt wird, erhält vor der Anhörung Einsicht in das Beweismaterial. Meist wird entlassenen Polizisten eine Lohnfortzahlung gewährt. Die Macht der zivilen Aufsichtsgremien ist gesetzlich begrenzt. Und nicht zuletzt: Unterlagen, die Fehlverhalten dokumentieren, sind meist Geheimsache und werden nach zwei Monaten geschreddert.

Ein Vergleich der USA-Polizei mit westeuropäischen Ländern: Polizei in den USA operiert in einem sozial sehr viel stärker polarisierten Klima mit einem schwachen Auffangnetz für Ausgegrenzte, mit hoher Massenarmut und viel mehr Waffen in Privatbesitz. Und ein weiterer Unterschied: Polizeischüler in den USA haben nur wenige Monate Ausbildung zu absolvieren, der Schwerpunkt besteht in der Waffenausbildung und im Überlebenstraining. An Jura oder Psychologie wie in Polizeischulen in Westeuropa ist in den USA nicht zu denken.

Die »Republikaner« betrachten Gewerkschaften allgemein als Gegner – mit Ausnahme der Polizeigewerkschaften, die sie zu Recht als zuverlässige Bündnispartner betrachten, nicht zuletzt mit Blick auf lokale Wahlkämpfe. Auch die »Demokraten« bemühen sich um ein gutes Verhältnis zu den mächtigen Polizeigewerkschaften. Deren reformorientierter Flügel, die Black-Lives-Matter-Bewegung im Blickwinkel, schlägt dagegen immer wieder kritische Töne an. Gleichwohl geht den vielen Progressiven die Forderung »Defund the police«, die eine Umschichtung von Dollar-Millionen von der Polizei in soziale sinnvolle Projekte zum Ziel hat, zu weit.

Fortschrittliche Dienstleistungsgewerkschaften wie die AFSCME oder die SEIU, die Polizeiorganisationen zu ihren Mitgliedern zählen, plädieren zwar für Polizeireformen, lehnen aber eine Forderung wie den Ausschluß der Polizeigewerkschaften aus dem Dachverband AFL-CIO ab.

Max Böhnel, New York

Fotos von Opfern der Polizeigewalt, Portland, 31. Juli 2020 (Foto: EPA-EFE/ETIENNE LAURENT)