Die Kulturzerstörer
USA-Präsident droht mit Kriegsverbrechen
Nach dem Mord an Ghassem Soleimani und weiteren iranischen und irakischen Militärs droht USA-Präsident Donald Trump mit weiteren Kriegsverbrechen. Bereits der Mord muß laut der Definition eines führenden deutschen Regierungsberaters als »Staatsterrorismus« eingestuft werden. Trump hat nun eine seiner Twitter-Äußerungen ausdrücklich bekräftigt, in der er Iran die Zerstörung von Zielen androht, die »bedeutend« für »die iranische Kultur« seien. Die gezielte Zerstörung bedeutenden Kulturguts ist völkerrechtlich verboten, so etwa in der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 und im Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen aus dem Jahr 1977. Am 24. März 2017 einigte sich der UNO-Sicherheitsrat auf eine Resolution, in der er die »widerrechtliche Zerstörung des kulturellen Erbes«, »insbesondere durch Terrorgruppen«, entschieden verurteilt. Wegen der absichtsvollen Zerstörung historischen Kulturguts hat im September 2016 der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) erstmals ein Urteil gefällt; ein Malier erhielt für die Zerstörung traditioneller Mausoleen in Timbuktu neun Jahre Haft.
Mit Strafmaßnahmen bedroht
In einer Resolution des irakischen Parlaments vom Sonntag haben die Abgeordneten den Abzug aller ausländischen Truppen gefordert. Allerdings arbeitet Washington gegenwärtig darauf hin, eine solche Entscheidung zu unterbinden. Präsident Trump hat für den Fall, daß die Regierung in Bagdad sich der Parlamentsresolution anschließen und ebenfalls den Abzug der ausländischen Truppen fordern sollte, mit harten Strafmaßnahmen gedroht. »Wenn sie uns auffordern, das Land zu verlassen, dann werden wir ihnen Sanktionen auferlegen, die sie nie zuvor erlebt haben«, erklärte der USA-Präsident: »Das wird die Iran-Sanktionen recht zahm aussehen lassen.«
Sanktionen mit Todesfolge
Tatsächlich hat der Irak jahrelang Erfahrungen mit vom Westen initiierten Sanktionen gemacht, die noch härtere Folgen hatten als – jedenfalls bislang – das extraterritorial exekutierte und damit völkerrechtswidrige USA-Embargo gegen den Iran. Die Iran-Sanktionen haben die Wirtschaftsleistung des Landes bereits 2018 um 4,8 Prozent, 2019 um weitere 9,5 Prozent einbrechen lassen. Zugleich sind die Lebenshaltungskosten im Iran stark gestiegen; so waren beispielsweise Lebensmittel Ende Oktober 2019 im Durchschnitt um 61 Prozent teurer als ein Jahr zuvor.
Zahlreiche Produkte können wegen der Sanktionen weder importiert noch im Iran hergestellt werden; Letzteres scheitert daran, daß notwendige Rohmaterialien im Land nicht vorhanden sind und gleichfalls nicht im Ausland gekauft werden können. Dies gilt nicht zuletzt für Medikamente. Wie eine aktuelle Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch belegt, können selbst schwere Krankheiten oft nicht mehr angemessen behandelt werden; so fehlen Medikamente gegen Epilepsie, was die Erkrankten schweren Risiken aussetzt, und Mittel gegen Leukämie, was die Heilungschancen klar verringert. Die Iran-Sanktionen kosten damit zahlreiche Menschenleben.
Eine halbe Million Kinder
Dies war auch bei den Sanktionen der Fall, die 1990 gegen den Irak verhängt wurden. Sie führten unter anderem dazu, daß der Kalorienverbrauch pro Kopf von rund 3.120 am Tag im Jahr 1989 auf 1.093 am Tag im Jahr 1995 einbrach. Hatten Ende der 1980er Jahre 97 Prozent der städtischen und 78 Prozent der ländlichen Bevölkerung Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung, so mußte wegen der Sanktionen der Gesundheitshaushalt auf weniger als zehn Prozent seines ehemaligen Betrags gekürzt werden; der Mangel an Medikamenten und an Ersatzteilen für medizinisches Gerät ließen das Gesundheitswesen kollabieren. Der Zusammenbruch der Trinkwasserversorgung ließ Krankheiten wie Cholera sich neu ausbreiten. Der Ruin der Tiermedizin bereitete der Verbreitung von Seuchen und einer ernsten Schädigung der Tierzucht den Weg.
Laut einer Untersuchung von UNICEF stieg die Kindersterblichkeit im Verlauf der 1990er Jahre auf mehr als das Doppelte an; die damalige UNICEF-Direktorin Carol Bellamy konstatierte 1999: »Hätte die erhebliche Abnahme der Kindersterblichkeit in den 80ern in den 90er Jahren angehalten, so wären insgesamt eine halbe Million weniger Todesfälle in den acht Jahren von 1991 bis 1998 bei Kindern unter fünf Jahren zu verzeichnen gewesen.«
Die Sanktionsdrohung des USA-Präsidenten trifft im Irak eine Bevölkerung, in der wohl die meisten, die älter als 25 Jahre sind, noch persönliche Erinnerungen an die Sanktionen und ihre mörderischen Folgen haben. Weithin vergessen sind sie dagegen dort, wo sie einst entworfen wurden: im Westen.
German Foreign Policy
Befragt, ob die politische Wirkung der Sanktionen den Tod einer halben Million Kinder wert seien, erklärte die damalige USA-Außenministerin Madeleine Albright in einer TV-Sendung: »Wir denken, daß sie diesen Preis wert sind.« (Foto: EPA/STEFAN ZAKLIN)