Ausland22. Dezember 2020

Elefantenhochzeit in der Autoindustrie

PSA und Fiat Chrysler wollen weltweit viertgrößten Automobil-Konzern bilden

Wenn alles unter Dach und Fach kommt, steht der Auto-Indu­strie das bevor, was in den Medien, so der deutschen »Autowelt«, bereits eine Elefantenhochzeit oder Mega-Fusion genannt wird. Danach werden der französische Opel-Mutterkonzern Peugeot Société Anonyme (PSA) und die Italienisch-US-amerikanische Fiat Chrysler Automobiles (FCA) fusionieren. Am Montag hat die EU-Wettbewerbsbehörde grünes Licht dafür gegeben, daß damit der viertgrößte Automobilhersteller die Tribüne des bisher zwischen Volkswagen, Toyota und dem französisch-japanische Renault-Nissan-Konzern tobenden Konkurrenzkampfes um die Weltspitze betreten wird.

Wie die Turiner Zentrale des Italieners mitteilte, soll das neue Unternehmen »Stellantis« heißen. Das lateinische Wort »Stella« für »Stern« soll wohl verkünden, daß ein neuer »Stern am Auto-Himmel« leuchten wird. Wie es in dem Kommuniqué heißt, wollen FCA und die PSA »ihre Kräfte bündeln, um einen weltweiten Marktführer zu konstruieren und in eine Ära nachhaltiger Mobilität einzutreten«.

Während FCA u.a. die Marken Alfa Romeo, Lancia, Maserati, Dodge oder Jeep einbringt, kommen von PSA Modelle wie Peugeot, Citroën oder Opel. Die Marken-Namen sollen zunächst zumindest unverändert bleiben.

Vor der Corona-Krise verkauften Fiat Chrysler und PSA zusammen weltweit rund 8,7 Millionen Fahrzeuge pro Jahr ab und erzielten einen Umsatz von 170 Milliarden Euro.
Die Auto-Branche ist in der Wirtschaft weltweit am meisten von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen. Die meisten Menschen haben andere Sorgen als sich ein neues Auto anzuschaffen. Hinzu kommen die Umstellungen auf E-Mobilität und die Digitalisierung, für die die Autobauer Milliarden investieren müssen. Beide Partner leiden unter den Corona-bedingten Absatzeinbußen in China.

Die französische Wirtschaftzeitung »Les Echos« hatte im Mai geschrieben, Fiat Chrysler habe »keine Plattform zur Herstellung von Elektroautos«, der italo-amerikanische Gigant sei in »steilem Abstieg« begriffen und habe »keinen Plan« für die künftige Vermarktung von Fiat.

Der deutsche Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft, Ferdinand Dudenhöffer, schätzte ein, daß beide Autokonzerne auf dem wichtigen Zukunftsmarkt für Elektroautos »nicht viel zu bieten« haben. Fiat Chrysler habe in Europa bisher überhaupt nichts im Angebot. Für FCA sei die Fusion »die Rettung«, denn der Konzern brauche bis 2021/22 dringend Elektroautos, um die EU-Regeln für den Schadstoffausstoß von Fahrzeugflotten zu erfüllen. PSA, die völlig vom europäischen Markt abhängig ist und hier 80 Prozent ihrer Autos verkauft, erhält durch den Zusammenschluß Zutritt zum USA-Markt.

Der Fiat-Konzern, der seit seiner Gründung vor 121 Jahren als Fabbrica Italiana Automobili Torino (FIAT) zu den Wegbereitern des Autos als Verkehrsmittel der Zukunft gehörte, sieht sich am Ziel einer schon seit Jahren verfolgten Bildung eines weltweiten Konzerns, der die Spitze erobern soll. Da FIAT außer der Auto-Produktion, mit der das Unternehmen nur die Hälfte seines Umsatzes erwirtschaftete, noch den Raumfahrtkonzern SNIA, »Fiat Aviazione« und Werke für Schiffsantriebe und Gasturbinen betreibt, in fast 60 Ländern mit über 1.000 Gesellschaften und 1,2 Millionen Beschäftigten präsent ist, verfügt der Konzern über ein beträchtliches Hinterland. In den 1970er Jahren konkurrierte FIA-Auto mit Volkswagen um den ersten Platz in Europa. Der Konzern erwarb Alfa Romeo und Ferrari, kaufte sich bei Maserati ein, übernahm die Mehrheit des Kleinwagenherstellers Innocenti und hatte Anfang der 1990er Jahre nahezu die gesamte italienische Autoproduktion in seiner Hand. Nach dem Ende des Sozialismus in Osteuropa faßte FIAT-Auto in Ungarn, Jugoslawien und Polen Fuß und gewann in Rußland neue Absatzmärkte.

Als Gianni Agnelli, Enkel des Firmen-Gründers, im Januar 2003 im Alter von 81 Jahren starb, trat sein Bruder Umberto an die Spitze des Familienunternehmens. Nach dessen Tod rund ein Jahr später übernahm der zu den FIAT-Erben gehörende Luca Cordero di Montezemolo die Präsidentschaft. Ihm folgte 2010 ein Enkel Agnellis, John Elkann.
2014 übernahm FIAT den US-amerikanischen Autobauer Chrysler (Jeep, Dodge und Ram) und bildete mit Alfa Romeo, Lancia und Abarth die jetzige Fiat Chrysler Automobiles (FCA). 2019 wollte der neue Konzern zunächst eine Allianz mit Renault schließen, um hinter Toyota und VW drittgrößter Autokonzern Europas, unter Einschluß des Renault-Partners Nissan sogar weltgrößter werden. Der Vorstoß scheiterte damals vor allem an der Befürchtung, daß mit der bunten Mischung sehr verschiedener Automarken ein schwer zu leitendes Riesenimperium entstanden wäre. Ob die Befürchtungen mit dem jetzt ähnlich gestalteten Konzern erneut aufkommen, bleibt abzuwarten.

Zunächst muß der Zusammenschluß, der bis Ende März 2021 umgesetzt werden soll, von den Aktionären am 4. Januar in zwei getrennten Hauptversammlungen bestätigt werden. Laut der britischen Nachrichtenagentur Reuters wolle Fiat Chrysler seinen Aktionären ein Zusammengehen mit einer Sonderdividende schmackhaft machen. Der Fusionsplan sehe eine Ausschüttung von 5,5 Milliarden Euro vor. Dann haben die EU-Wettbewerbsaufseher entschieden, daß die Partner sich verpflichten müssen, eine bereits bestehende Kooperation zwischen PSA und Toyota zu erweitern, das heißt, PSA muß weiter für Toyota leichte Nutzfahrzeuge für den Verkauf in der EU fertigen, da die Fusion den Wettbewerb bei leichten Nutzfahrzeugen in neun EU-Ländern beeinträchtigen könnte.

Auf dem Tisch liegen die ungelösten Forderungen der Gewerkschaften nach Sicherung der Arbeitsplätze, Vorruhestandsregelungen, Altersteilzeit, Abfindungen. Vor allem bei der PSA-Tochter Opel ist der Stellenabbau schon in vollem Gange. Katja Wolf, die Oberbürgermeisterin von Eisenach, einem der Produktionsstandorte von Opel, stellte sich hinter die Forderungen der Gewerkschaften und erklärte, »wir brauchen klare Einhaltungen der Zusagen von PSA«.

Gerhard Feldbauer

(Fotos: AFP)