Olympische Spiele zum dritten Mal in Paris
Wenn vom 26. Juli bis zum 11. August in Paris die XXXIII. Olympischen Spiele der Neuzeit veranstaltet werden, so verdanken wir das nicht zuletzt dem französischen Baron Pierre de Coubertin.
Der 1864 geborene Aristokrat, der später zum Demokraten und Republikaner wurde, hat Jura in den USA studiert, wo an den Universitäten sehr viel Sport getrieben wurde. Für ihn wurden die Sportarten Fechten, Rudern, Schwimmen, Boxen und Schießen zur Leidenschaft. Das hat ihn veranlaßt, sich gründlicher mit der Rolle des Sports für Gesundheit und Psyche des Menschen zu beschäftigen und zum Sportpädagogen zu werden.
1894 gelang es dem jungen Mann, die 2.000 Delegierten des Pariser Weltkongresses für Athletische Erneuerung für seine Idee zu begeistern und zu überzeugen, die Olympischen Spiele des antiken Griechenland in zeitgemäßer Form wieder aufleben zu lassen. Hier unterließ er es allerdings, wie sonst meist in seinen Artikeln und Büchern auf den Nutzen des Sports für die Ertüchtigung der Männer zu verweisen, die später vielleicht einmal als Soldaten gebraucht würden. Statt dessen pries er den Internationalismus des Sports, der geeignet sei, die Jugend der Welt für ein friedvolles Miteinander zusammenzubringen.
Es begann vor 2.800 Jahren
Die antiken Spiele wurden erstmals acht Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung in Olympia im Norden der Insel Peloponnes veranstaltet. Dort kamen alle vier Jahre bis zu 40.000 Menschen aus dem ganzen Land zusammen, um dem Gott Zeus Opfer zu bringen. Dafür wurden 100 Ochsen getötet, was den Begriff »Hekatombe« prägte.
Rund um die Zeremonie gab es ein Volksfest, das den Zweck hatte, das Zusammengehörigkeitsgefühl der griechischen Bürger zu stärken. Darum ergänzte man das Fest ab 776 v.u.Z. durch Sportwettkämpfe – die Olympischen Spiele.
Die nur von Männern und durchweg nackt ausgetragenen Disziplinen waren Diskuswurf, Speerwerfen, Weitsprung, Laufen und Ringen sowie Pferde- und Kampfwagenrennen. Die Olympischen Spiele gab es mehr als tausend Jahre lang, bis die Römer Griechenland eroberten und in ihr Reich eingliederten. Der christliche Kaiser Theodosius verbot 393 die Olympischen Spiele zusammen mit allen anderen »heidnischen« Festen und Bräuchen.
»Basisdemokratie« zum Vorbild genommen
In den folgenden Jahrhunderten hat es immer wieder einmal den Versuch gegeben, die Olympischen Spiele wieder aufleben zu lassen. So zum Beispiel während der Französischen Revolution 1789, wo man sich die »Basisdemokratie« des antiken Griechenland zum Vorbild nahm und wo es Bedarf an Veranstaltungen zur Festigung des nationalen Zusammenhalts gab.
So wurde 1796 zum Jahrestag des Sturms auf die Bastille ein Volks- und Sportfest veranstaltet, zu dem 150.000 Menschen auf das Pariser Champs-de-Mars kamen. Dort gab es Wettkämpfe in den Disziplinen Dauerlauf, Ringen, Pferderennen und Rudern auf der Seine. Dieses Sportfest wurde 1797 und 1798 wiederholt, dann ließ die Begeisterung nach und der neue Brauch schlief wieder.
1850 kam in der britischen Kleinstadt Wenlock der Arzt William Penny Brookes auf die Idee, volkstümliche Sportfeste nach dem Vorbild der antiken Olympischen Spiele zu veranstalten. Dabei wurden die herkömmlichen Leichtathletik-Disziplinen durch neu erdachte ergänzt, etwa durch das Wettfahren von Frauen mit Schubkarren oder den Wettlauf von Großmüttern. Diese Feste waren ein großer Erfolg, und als Brooks bei einem Essen mit Pierre de Coubertin zusammenkam, erzählte er ihm davon. Dieser griff die Initiative auf und da er die nötige Energie, Geld und Beziehungen hatte, zog er die Idee neuer Olympischer Spiele groß auf.
Die Sportfeste von Wenlock mit dem originellen Schubkarren-Wettfahren finden übrigens bis heute jedes Jahr im Juli statt.
Neuanfang in Athen
Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit wurden 1896 veranstaltet, symbolischerweise in Athen und in einem extra dafür restaurierten antiken Stadion. Die ersten neun Disziplinen, die hier ausgetragen wurden, waren Leichtathletik, Ringen, Gewichtheben, Fechten, Schwimmen, Radfahren, Tennis, Schießen und Turnen. Daran nahmen insgesamt rund 200 Sportlern aus 15 Ländern teil – durchweg Amateure und alles Männer. In dieser Frage war und blieb Coubertin ein Aristokrat des 19.Jahrhunderts. Er fand eine weibliche Olympiade »uninteressant, unästhetisch, unkorrekt«, und jahrzehntelang hat er sich als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees gegen die Teilnahme von Sportlerinnen gestemmt. Doch immer öfter wurde er überstimmt, so daß Frauen schon ab 1900 beim Tennis und Segeln zugelassen wurden, ab 1928 bei der Leichtathletik und nach und nach bei allen Sportarten.
Im Schatten der Weltausstellung
In Frankreich ist längst nicht allgemein bekannt, daß die Olympischen Spiele schon einmal 1924 in Paris ausgetragen wurden, also vor genau 100 Jahren. Genau genommen fanden sie hier sogar schon einmal 1900 statt, doch das ging seinerseits völlig im Trubel der Pariser Weltausstellung unter.
»Daß die Spiele von 1900 völlig in Vergessenheit geraten sind, liegt daran, daß seinerzeit hier die Weltausstellung stattfand und daß sich deren Organisatoren gegen das von Coubertin geleitete Internationale Olympische Komitee (IOC) durchgesetzt hatten«, erläutert der Sporthistoriker Pascal Blanchard. »Auf ihren Druck hin hießen diese II. Olympischen Spiele der Neuzeit offiziell Internationaler Wettbewerb für Leibesübungen und Sport, waren nicht mehr als ein Anhängsel der Weltausstellung und wurden selbst dort nur von wenigen Besuchern überhaupt wahrgenommen.«
»Unter keinem guten Stern«
Die VIII. Olympischen Spiele der Neuzeit 1924 fanden auf ausdrücklichen Wunsch von Pierre de Coubertin in Paris statt und sollten nicht zuletzt den »Flop« von 1900 vergessen machen. Außer der französischen Hauptstadt hatten sich auch Amsterdam, Los Angeles, Barcelona, Prag und Rom beworben. Um diplomatischen Ärger zu vermeiden, wurde den Städten Amsterdam und Los Angeles vom Olympischen Komitee zugesichert, daß die nächsten zwei Spiele 1928 und 1932 dort stattfinden würden, was dann auch geschah.
»Die Spiele von 1924 standen zunächst unter keinem guten Stern«, meint Pascal Blanchard. »Bei der Vergabe hatte die Stadt den Bau eines modernen und für jene Zeit riesigen Stadions am nördlichen Stadtrand von Paris mit 100.000 Plätzen versprochen, doch die Finanzierung scheiterte an der aufziehenden Wirtschaftskrise.« So mußte das Olympische Komitee auf den Vorschlag des privaten Racing Club de France eingehen. Dieser bot für den Bau eines wesentlich bescheideneren Stadions mit 45.000 Plätzen ein Gelände an, das der Klub im nordwestlich von Paris gelegenen Vorort Colombes besaß und für das er die Hälfte der Einnahmen aus dem Ticketverkauf verlangte.
Viele der elitären Mitglieder des IOC rümpften die Nase über die Arbeitervorstadt Colombes mit ihren zahlreichen Ausländerfamilien, aber es war die einzige Möglichkeit, die Spiele nicht von vornherein scheitern zu lassen. In diesem Stadion fanden dann die Eröffnungs- und die Schlußzeremonie und die meisten Wettkämpfe statt. »Ganz in der Nähe des Stadions gab es erstmals in der Geschichte der Olympischen Spiele ein Sportlerdorf«, ergänzt Pascal Blanchard. »Doch die zwölf Holzbaracken waren äußerst spartanisch, worüber sich viele Sportler beklagten. Die USA-Delegation mietete sogar in der Nähe ein leerstehendes Schloß und siedelte ihre Mannschaft dorthin um.«
Ähnlich wie vor 100 Jahren
Weil das Olympische Stadion von Colombes 20 Kilometer vom Stadtzentrum von Paris entfernt liegt, hatte es schon im Vorfeld der Spiele Streit um die schlechten Verkehrsverbindungen gegeben. Die Verlängerung einer der Pariser Metrolinien kam aus Kostengründen nicht in Frage, so daß schließlich nur eine Vorortbahnlinie geringfügig umgeleitet und mit einem zusätzlichen Bahnhof ausgestattet wurde.
»Die Probleme und Diskussionen 1924 und 2024 sind einander sehr ähnlich«, meint Pascal Blanchard. »Neben der mangelhaften Verkehrsanbindung sind das die Klagen über die horrend teuren Eintrittsticket und Hotelübernachtungen, die Sorgen um das Budget, das aus dem Ruder zu laufen droht, und die Kriminalität, vor allem in Form von Taschendiebstählen. Zu diesen absolut vergleichbaren Sorgen kommt heute die Bedrohung durch Terroranschläge und Hackerangriffe hinzu sowie die Besorgnis um die Belastung der Umwelt und die Folgen für das Klima.«
Trotz der zahlreichen Probleme im Vorfeld und während der Austragung wurden die Spiele von 1924 alles in allem ein großer populärer Erfolg, so daß sich Pierre de Coubertin zufrieden von seinem Posten als Präsident des IOC in den Ruhestand zurückziehen konnte.
Erstmals wurden bei der Abschlußzeremonie drei Fahnen aufgezogen, die des IOC, des gastgebenden Landes und des Landes, das die nächsten Spiele ausrichten durfte. Erstmals wurde auch die Losung des IOC »Schneller, höher, weiter« verwendet.
In die Geschichte eingegangen sind vor allem die fünf Goldmedaillen, die der Finne Paavo Nurmi in verschiedenen Laufdisziplinen errang, und die drei Goldmedaillen des US-amerikanischen Schwimmers Johnny Weissmüller, der später als »Tarzan« eine erfolgreiche Filmkarriere anschließen konnte.
An den Olympischen Spielen von Paris 1924 haben 3.000 Sportler aus 44 Ländern teilgenommen. Davon waren 135 Frauen, denn beginnend mit dem Tennis setzten sich erste Verbände über Coubertins frauenfeindliche Einstellung hinweg.
Wenn die Olympischen Spiele von Paris 2024 eröffnet werden, sind unter den 10.500 Sportlern Männer und Frauen paritätisch vertreten.