Paolo Taviani gestorben:
Der letzte Gigant des italienischen Kinos
Mit 92 Jahren ist der italienische Filmemacher Paolo Taviani (»Padre padrone«, »Cesare deve morire«) gestorben. Dies bestätigte am Donnerstagabend die Präfektur seiner Heimatregion Toskana. Taviani gehörte mit seinem 2018 gestorbenen älteren Bruder Vittorio jahrzehntelang zu den wichtigsten Figuren des italienischen Kinos. Die beiden gewannen mit ihren stets gemeinsam gedrehten Filmen mehrere Dutzend internationale Preise, auch in Cannes und Berlin.
Ihren ersten gemeinsamen Spielfilm drehten sie 1967: »I sovversivi« (Die Subversiven) setzte sich mit der italienischen Linken auseinander. Ihren internationalen Durchbruch hatten die Brüder 1977 mit »Padre padrone« (»Mein Vater, mein Herr«). Der Film bekam in Cannes die Goldene Palme. 2012 erhielten die Tavianis für den Film »Cesare deve morire« (»Cäsar muß sterben«), ein Dokudrama über die Proben für eine Aufführung des Shakespeare-Stücks »The Tragedy of Julius Caesar« im Gefängnis, auf der Berlinale den Goldenen Bären.
Nach italienischen Medienberichten starb Paolo Taviani nach kurzer schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie in einem Krankenhaus in Rom. Seinen Bruder Vittorio, der 88 Jahre alt wurde, überlebte er um beinah sechs Jahre. Dieser hatte über ihr Verhältnis gesagt: »Wir haben unterschiedliche Charaktere, aber die gleiche Natur. Unsere Entscheidungen im Leben und in der Kunst sind die gleichen.« Daraus wurde eine lebenslange Zusammenarbeit.
Für viele waren die beiden nur im Doppelpack denkbar; um den einen zu beschreiben, brauchte man den anderen: Vittorio galt als der Bedächtige, Paolo dagegen eher als mondän und etwas egozentrisch. Auch äußerlich nahmen sich »Vittoriopaolo«, wie viele sie knapp nannten, in den letzten Jahren nicht mehr viel: graue Haare, markante Brille, Paolo jedoch ohne Hut und ohne Bart.
Paolo wurde 1931 in San Miniato unweit von Pisa geboren, zwei Jahre nach seinem Bruder. Mit Mitte 20 drehte er bereits 1954 einen Dokumentarfilm über ein Massaker der Nazis in seinen Geburtsort, bei dem zehn Jahre zuvor 60 Menschen im Dom der Stadt bei lebendigem Leibe verbrannt wurden. Die politisch damals stark marxistisch geprägten Brüder griffen das Thema Faschismus und Antifaschismus 1982 noch einmal in ihrem Spielfilm »La notte di San Lorenzo« (»Die Nacht von San Lorenzo«) auf, einem vielgelobten Drama.
Weil sie zunächst für ihre stark ideologisch geprägten Regiekonzepte keinen Produzenten fanden, machten die Tavianis ihre ersten Filme für den Fernsehsender Rai. Paolo stellte aber klar: »Wir haben nicht daran gedacht, einen Film fürs Fernsehen zu machen. Was wir machen wollten, war unser Film.«
Über mehr als ein halbes Jahrhundert zog sich durch ihr Werk eine Mischung aus Realismus und Inszenierung – in ständiger Auseinandersetzung mit Kino, Literatur, Reportage und Geschichte. Die britische Tageszeitung »The Guardian« bezeichnete die Brüder als »letzte Titanen des klassischen italienischen Films«. Ihr letzter gemeinsamer Streifen war »Una questione privata« (»Eine Privatsache«) – basierend auf dem gleichnamigen Roman des italienischen Schriftstellers Beppe Fenoglio.
Nach dem Tod seines Bruders Vittorio schrieb und inszenierte Paolo allein »Leonora addio«, inspiriert von einer Novelle des Italieners Luigi Pirandello. Damit war er 2022 auch nochmals bei der Berlinale im Wettbewerb. Zuletzt arbeitete er an einem neuen Film, »Il canto delle meduse« (»Der Gesang der Medusen«): Das Großprojekt sollte vier Geschichten erzählen, die mit dem Verlauf der Coronapandemie 2020 verbunden sind.