»Laßt Ihr uns alle verhungern?«
Ein Familienvater aus Gaza, der unserer Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld bekannt ist, namentlich aber nicht genannt werden möchte, sandte am 2. Februar an seine Freunde in Deutschland die folgende Nachricht:
»Liebe Freundinnen und Liebe Freunde,
vor einer Woche mußten wir wieder unsere Notunterkunft verlassen, weil sie bombardiert wurde. Zum vierten Mal mußten wir unsere Habseligkeiten irgendwie zusammenpacken und wieder nach einer anderen Unterkunft suchen. Und das, während um uns herum in Sichtweite geschossen wurde und Bomben fielen.
Auch wo wir jetzt sind, ist es jetzt eng und menschenunwürdig. Das Dach ist nicht dicht und der Regen kommt durch. Und es hat in letzter Zeit einige Tage ununterbrochen geregnet und es ist kalt. Als hätten wir nicht ohne den Regen schon genug Probleme zu bewältigen.
Der Platz in der Unterkunft reicht nicht für alle, deshalb schlafen die Männer reihum draußen im Zelt. Ich habe keine warmen Socken, keinen warmen Pullover. Nichts. Ich friere wie auch die anderen und kann deshalb nicht schlafen. Und ich kann auch nicht schlafen, weil um uns herum die Bomben zu hören sind und die Krankenwagen. Immer könnten wir auch getroffen werden. Seit vier Monaten ist dieser Gedanke, sind die Ängste, die Sorge um die Familie immer da.
Nein, ich habe mich nicht an dieses Leben gewöhnt. Wir alle nicht. Und hinzu kommt, daß wir uns von der Welt, von der Weltpolitik total verlassen fühlen.
Wir leben unter unvorstellbaren Bedingungen. Wir haben nichts getan und müssen leiden und die Welt schaut zu. Oder sie hat uns inzwischen vergessen.
Täglich kämpfen wir ums Überleben und sind immer damit beschäftigt, Lebensmittel zu finden. Alle sind wir dünner geworden, denn es gibt nicht genug zu essen. Die Hilfe durch die UNWRA kommt nur sehr langsam an und ist immer zu wenig. In den vergangenen Monaten habe ich kaum etwas davon bekommen.
Ich habe gehört, daß die Welt und auch Deutschland jetzt jede Lebensmittelunterstützung durch die UNWRA gestoppt hat. Ich kann es kaum glauben, denn das bedeutet, daß wir alle verhungern sollen. Wenn wir nicht durch Bomben sterben, sollen wir verhungern. Das will auch Deutschland? Was sagen meine Freundinnen und Freunde dazu? Laßt ihr uns alle verhungern?
Auf dem privaten Markt wird fast nichts mehr angeboten und wenn, dann zu astronomischen Preisen, die wir uns nicht leisten können. Sogar Grundnahrungsmittel sind unerschwinglich. 10 Eier kosten umgerechnet 8 Euro, 1 Kilo Zwiebeln auch 8 Euro. Babywindeln kosten das Paket mehr als 65 Euro. Gemüse, Salz, Zucker, Öl, das alles können wir uns nicht leisten. Seit Beginn des Krieges werden keine Medikamente für den privaten Markt mehr eingeführt. Unsere Gehälter haben wir seit Oktober nicht bekommen.
Das alles ist der Wahnsinn. Wie soll es weitergehen?
Unser Leben in Gaza ist unerträglich, weil wir
1. von Tod und Zerstörung umgeben sind
2. weil wir kein Dach über dem Kopf haben
3. weil wir kaum etwas zu essen und zu trinken finden
4. weil die Luft, die uns umgibt, durch Bombenexplosionen extrem verschmutzt ist
5. weil Krankheiten und Verletzungen nicht behandelt werden können.
Damit uns ein kleines bißchen Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben bleibt, setzt euch bitte dafür ein, daß der Beschluß des Internationalen Gerichtshof umgesetzt wird und dieser Wahnsinn mit einem vollständigen Waffenstillstand aufhört.
In der Hoffnung, daß dieser furchtbare Krieg sofort beendet wird, verbleibe ich mit traurigen Grüßen.«