Nächstes Ziel: Rafah
Israelische Armee bereitet neue Offensive im Süden des Gazastreifens vor
Trotz deutlicher Kritik auch aus dem westlichen Ausland bereitet die israelische Armee eine neue Offensive auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vor. Der Generalstab der israelischen Streitkräfte bewilligte die von Kriegsminister Yoav Gallant vorgelegten Pläne für den Angriff. Die USA fordern zum wiederholten Mal, die Sicherheit der dort lebenden Bevölkerung zu gewährleisten – Israel hat offenbar einen Plan für deren Evakuierung vorgelegt.
Die USA-Administration hat zwar die Pläne für einen Angriff auf Rafah zurückgewiesen, hat allerdings die Lieferung von Waffen und Munition an Israel nicht eingestellt. Auch Deutschland liefert weiter Waffen an Israel. Das berichtet das »Wall Street Journal« (WSJ), das gewöhnlich über beste Kontakte zu israelischen Militär- und Geheimdienstkreisen verfügt. Unter Verweis auf nicht genannte israelische und ägyptische Beamte schreibt das Blatt, daß der Angriff auf Rafah mit einer mehrwöchigen Evakuierung der Zivilisten beginnen soll. Dabei sollen die USA, Ägypten und »andere arabische Länder« beteiligt werden. Die Zivilisten sollen in bereits zerstörte Gebiete des Gazastreifens zurückgeführt werden, wo Israel Zelte aufstellen und die Menschen während des Angriffs angeblich mit Essen und medizinisch versorgen will. Dann solle der Angriff auf die sich vermeintlich in Rafah befindlichen Hamasführer beginnen, der etwa sechs Wochen dauern soll. Die Hamas habe dort noch vier Bataillone stationiert, heißt es im »Wall Street Journal«.
Desinformation ist Teil jeder Kriegsführung, insofern ist unklar, welchen Wahrheitsgehalt der veröffentlichte »WSJ«-Bericht tatsächlich hat. Seit Beginn des Krieges hat Israel über verschiedene Medien immer wieder gezielt Berichte über Pläne und das Vorgehen der israelischen Streitkräfte einerseits und der palästinensischen Seite andererseits veröffentlicht, die keiner Überprüfung standhalten.
Vorwürfe ohne Beweise gegen die UNRWA
Dazu gehören auch die massiven politischen und militärischen Angriffe Israels gegen die UNO-Hilfsagentur für palästinensische Flüchtlinge, UNRWA. Die 1949 von der UNO-Generalversammlung per Resolution gegründete Organisation versorgt palästinensische Flüchtlinge aus der Vertreibung 1947/48 (»Nakba«) und aus den Kriegen 1967 und 1973 in Ostjerusalem, Westjordanland, Gaza, Jordanien, Syrien und Libanon. UNRWA hat mehr als 30.000 Mitarbeiter und gilt als das Rückgrat für die Versorgung der Palästinenser. UNRWA erkennt Millionen vertriebener Palästinenser an, die gemäß der UNO-Resolution 194 das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat haben.
Im Januar hatte Israel die Organisation beschuldigt, daß eine Reihe ihrer Mitarbeiter an dem Angriff am 7. Oktober 2023 auf israelische Orte in der östlichen Nachbarschaft des Gazastreifens beteiligt gewesen sein sollten. 18 Geberländer der UNRWA stellten daraufhin ihre Zahlungen an die Organisation ein. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres setzte Anfang Februar eine unabhängige Untersuchungskommission unter der Leitung der früheren französischen Außenministerin Catherine Colonna ein. Unter Mitarbeit unabhängiger Institute aus Schweden, Norwegen und Dänemark bescheinigte die Kommission jetzt der UNRWA, alle vorgeschriebenen Kontrollmaßnahmen zur Wahrung der Neutralität eingehalten zu haben. Israel habe keine glaubwürdigen Beweise für seine Beschuldigung vorgelegt, wonach zwölf UNRWA-Mitarbeiter als Kämpfer von Hamas oder dem Islamischen Jihad agiert hätten. Israelische Behörden hätten auf Briefe der UNRWA von März und April nicht reagiert, in denen die Organisation darum gebeten hatte, ihr die Namen der Beschuldigten zu nennen.
Der irische Vizepremier und Außenminister Michael Martin warf Israel vor, UNRWA absichtlich unterminieren zu wollen, »um das Recht der Palästinenser auf Rückkehr« auszulöschen. Irland hat seine Zahlungen an die UNRWA erhöht, nachdem die größten Geldgeber, darunter die USA und Deutschland, im Januar ihre Zahlungen einstellten.
Massengräber
Am 1. April hatten die israelischen Streitkräfte damit begonnen, Teile ihrer Kampftruppen aus verschiedenen Teilen des Gaza-Streifens zurückzuziehen. Der »vorübergehende Rückzug« war offenbar in Erwartung eines iranischen Angriffs erfolgt, nachdem Israel am 1. April das Konsulat der iranischen Botschaft in Damaskus angegriffen und zerstört hatte. Unter den 16 Toten waren auch hochrangige Generäle der Iranischen Revolutionsgarden, die in Syrien stationiert waren.
Seit dem Rückzug der israelischen Truppen haben Zivilisten auf der Suche nach vermißten Angehörigen zahlreiche Massengräber im Gazastreifen gefunden. Allein im Nasser-Krankenhaus in Chan Junis wurden bisher mindestens 310 Leichen gefunden, teilten die palästinensischen Zivilschutzkräfte am Dienstag mit.
Der Sprecher des Zivilschutzes in Gaza, Major Mahmoud Basal, sagte am Sonntag vor Journalisten, viele der Toten seien mit Bulldozern von der israelischen Armee verscharrt worden, bevor die Soldaten das Gebiet Anfang April verlassen hätten. Unter den gefundenen Opfern seien sehr viele Frauen und Kinder.
Aus den Gebieten, die von den israelischen Streitkräften besetzt worden waren, werden mehr als 2.000 Vermißte gemeldet. Unklar ist, ob diese Menschen von der israelischen Armee festgenommen und verschleppt oder ob sie getötet wurden. Massengräber wurden auch beim Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza Stadt und im Kamal.Adwan-Krankenhaus in Nord Gaza gefunden.
Zerstörung der
medizinischen Versorgung
Nebal Farsakh, Sprecherin der palästinensischen Roten Halbmondgesellschaft (PRCS), erklärte vor Journalisten, man könne keine genauen Angaben zu der Zahl der Toten machen, die in Massengräbern der verschiedenen Krankenhäuser gefunden worden seien. Allerdings seien die Berichte über verscharrte Leichen von Patienten und Vertriebenen unweit des Kamal-Adwan-Krankenhauses schrecklich, die man nach dem Abzug der israelischen Truppen gefunden habe. Die Sprecherin verwies auf die systematische Zerstörung von medizinischen Einrichtungen, Krankenhäusern und Angriffen auf medizinisches Personal. Allein die Rote Halbmondgesellschaft habe 23 Ambulanzfahrzeuge durch israelische Angriffe verloren. Nebal Farsakh kritisierte, daß die Verbrechen gegen das palästinensische Gesundheitswesen international weitgehend schweigend übergangen würden.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza vom Dienstag ist die Zahl der getöteten Palästinenser seit dem 7. Oktober 2023 auf 34.183 gestiegen. Unter den Toten sind mehr als 14.500 Kinder und 9.500 Frauen. 77.143 Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Toten ist vermutlich um Tausende weitere Männer, Frauen und Kinder höher, die unter den Trümmern der von Israel zerbombten Häuser vermißt werden.