Zwei Millionen Franzosen protestierten auf der Straße
Einheitsfront der Gewerkschaften. Dem Streik- und Aktionstag werden weitere folgen
Der landesweite Streik- und Aktionstag vom Donnerstag war ein machtvoller Auftakt für den Kampf gegen die Rentenreformpläne der Regierung, dem weitere solcher Tage folgen werden – bis zur Aufgabe des Vorhabens. Die nächste große Mobilisierung wird bereits am 31. Januar stattfinden. Das erklärten die acht großen Gewerkschaften des Landes, die sich für diesen Kampf in einer Front zusammengeschlossen hatten, am Donnerstagabend nach einer ersten Bilanz des Tages.
Sie hatten sich landesweit eine Million Teilnehmer erhofft, doch dann waren bei über 200 großen und kleineren Demonstrationen im ganzen Land nach Angaben der CGT insgesamt mehr als zwei Millionen Menschen auf der Straße. Allein in Paris demonstrierten 400.000 und der Platz der Republik, wo der Zug endete, war schwarz vor Menschen.
Weitere machtvolle Demonstrationen gab es beispielsweise in Marseille, Lyon, Bordeaux, Lille, Nantes, Strasbourg und Nizza, aber auch in mittelgroßen Städten wie Boulogne-sur-Mer oder Aix-en-Provence. In Metz, wo der Demonstrationszug mehr als einen Kilometer lang war, bekundete eine Abordnung der luxemburgischen Gewerkschaft OGBL ihre Solidarität mit dem Kampf der französischen Kollegen.
Demonstriert wurde auch in den französischen Überseedepartements und -territorien, so in Mayotte, wo die durchschnittliche Lebenserwartung acht Jahre niedriger ist als auf dem französischen Festland und wo daher schon heute viele Menschen nicht das Rentenalter von 62 Jahren erreichen, geschweige denn die durch die Reform geplanten 64 Jahre.
Wie die Medien bei ihren Reportagen von den verschiedenen Demonstrationsorten übereinstimmend feststellten, nahmen viele Menschen teil, die noch nie in ihrem Leben demonstriert hatten, denen das Thema Rentenalter aber am Herzen liegt. Auch viele Jugendliche waren gekommen, weil sie ihre Besorgnis über ihre berufliche Zukunft und deren wohlverdientes Ende zum Ausdruck bringen wollten. Oft haben selbst Rentner demonstriert, die von der Reform nicht selbst betroffen sind, die es aber für ihre Kinder und Enkel tun.
In Paris schritten an der Spitze des Demonstrationszuges nicht nur die Vorsitzenden der großen Gewerkschaften, sondern auch zahlreiche linke Politiker. Der Generalsekretär der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, erklärte gegenüber Journalisten: »Wir wollen erreichen, daß die Regierung ihre extrem ungerechten Rentenreformpläne zurücknimmt, durch die das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre und die Beitragsdauer auf 43 Jahre angehoben werden soll. Das ist für uns nicht hinnehmbar.« Laurent Berger, der Vorsitzende der Gewerkschaft CFDT, stellte die diesmal zustande gekommene Einheitsfront der Gewerkschaften heraus und sagte: »Wir sind untereinander nicht immer einer Meinung, aber diesmal treten wir gemeinsam auf, weil wir alle gegen die Rente erst mit 64 Jahren sind. Wir kennen die Welt der Arbeit und wir wissen am besten, was man den Menschen zumuten kann und was nicht.«
Der Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei, Fabien Roussel, sagte: »Die massive Beteiligung an diesem Streik- und Aktionstage ist ein deutliches Signal an das Lager des Präsidenten, daß es dringend geboten ist, diese ungerechte Rentenreform umgehend zurückzuziehen. Das ist die Meinung von zwei Dritteln der Franzosen. Wir sind überzeugt, daß es reichen würde, die Milliardäre mit einer Sondersteuer von 2 Prozent zu belegen und die Rentenkassen hätten keine finanziellen Probleme mehr.« Jean-Luc Mélenchon, der Gründer der Bewegung La France Insoumise, schrieb per Twitter: »Die Gewerkschaften haben eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht, daß sie die breite Volksmeinung vertreten. Macron hat die erste Runde eindeutig verloren. Der Kampf geht weiter!«
Gestreikt wurde am Donnerstag vor allem im öffentlichen Dienst, so im Gesundheitswesen sowie an den Schulen und Universitäten, aber auch in der Privatwirtschaft. Durch den Streik der Drucker sind viele Tageszeitungen nicht erschienen. Zahlreiche Rundfunksender strahlten nur ein Notprogramm mit einigen Nachrichten und viel Musik aus. Bei der Staatsbahn SNCF fuhren nur einige wenige Züge, denn die Hälfte aller Eisenbahner stand im Streik, und bei den Lockführern waren es sogar 77 Prozent. Bei den Pariser Verkehrsbetrieben RATP gab es bei der Metro und den Bussen nur einen Minimaldienst und etliche Linien waren ganz eingestellt.
Im Energiesektor haben die Streikenden einige Wasserkraftwerke stillgelegt und dafür gesorgt, daß sieben Kernreaktoren für Stunden heruntergefahren werden mußten. Im nationalen Stromnetz standen rund 6.000 Megawatt weniger zur Verfügung als sonst, das ist das Doppelte des Bedarfs von Paris. Daher mußte Frankreich an diesem Tag Strom aus den Nachbarländern importieren. In zwei Kleinstädten der Pariser Region wurde demonstrativ für Stunden der Strom komplett abgeschaltet, um die Entschlossenheit der Streikenden zu demonstrieren.
Präsident Emmanuel Macron, der sich am Donnerstag zur Unterzeichnung eines französisch-spanischen Partnerschaftsvertrages in Barcelona aufhielt, erklärte Journalisten gegenüber, er werde nicht zurückweichen, denn er sei überzeugt, daß die Reform »nötig ist, um unser solidarisches Rentensystem zu sichern und die Lasten dafür auf die verschiedenen Generationen zu verteilen«. Wie aus dem Umfeld des Präsidenten bekannt wurde, setzt Macron darauf, daß es sich für die Regierung auszahlt, hart zu bleiben. Angesichts der Inflation und der schwindenden Kaufkraft der Haushalte rechnet er damit, daß es sich viele Franzosen einfach nicht leisten können, zu streiken und dadurch einen Teil ihres Einkommens einzubüßen.