Nicht auf dem Rücken der Lehrlinge!
Im Herbst 2015 stellte das »Institute for Life-Long Learning and Guidance« (LLLG) der Universität Luxemburg der im November 2008 von den damaligen Mehrheitsparteien CSV und LSAP in der Chamber durchgewunkenen Reform der Berufsausbildung ein vernichtendes Urteil aus. Was Erziehungsministerin Mady Delvaux-Stehres als »Jahrhundertreform« angekündigt hatte – und entgegen einer Empfehlung der Salariatskammer seit der Rentrée 2010/2011 anwenden ließ –, sei »überhastet« und »chaotisch« umgesetzt worden.
Die Salariatskammer hatte der Vorgängerin von Claude Meisch nahegelegt, ihre Reform um ein weiteres Jahr zu verschieben und kritisiert, sie gehe einseitig zu Lasten der Lehrlinge. Beim LLLG stand das nach dem Primärschulunterricht auch in der Berufsausbildung eingeführte modulare System, das den Klassenverband ersetzte, im Zentrum der Kritik. In ihm können Schüler auch dann versetzt werden, wenn sie mehrere Module nicht bestanden haben. Das wird dann zu einem Problem, wenn sie Grundlagenmodule, die für das Verständnis weiterer Module unerläßlich sind, nicht bestehen.
Diese Schüler landen ohne Aussicht auf ein Diplom in der Abschlußklasse, weil sie es gar nicht schaffen können, so viele Module nachzuholen. Entsprechend sind die Lyzeen mit der Organisation der vielen Nachhilfekurse überfordert. Sie können oft nicht alle Module nochmals anbieten.
Meisch erteilte der von den Wissenschaftlern geforderten »mise à plat« dennoch eine Absage, kündigte aber an, das neue System werde »an die Realitäten der Schüler, Programme, Schulen und Unternehmen angepaßt«. So sei eine Rückkehr zu jährlichen Versetzungen geplant, um zu verhindern, daß Schüler trotz eklatanter Wissenslücken in einer Abschlußklasse landen und dort Unmengen an Modulen nachholen müssen. Auch die Programme der 120 Ausbildungsberufe würden überarbeitet, um für »mehr Kohärenz« zu sorgen. Mit gleichem Ziel sollen Unvereinbarkeiten zwischen den Ausbildungsgängen CCP, DAP und DT beseitigt werden, kündigte Meisch vor zwei Jahren an.
Doch wie die Salariatskammer am Montag erklärte, ist seitdem noch nicht viel passiert. Hatte Meisch zunächst gehofft, die Reform der Reform könne zur Rentrée 2017/2018 am vergangenen Freitag in Kraft treten, so heißt es nun, die Hälfte der Programme werde bis zur Rentrée im nächsten Jahr und die andere Hälfte bis zur Rentrée 2019/2020 überarbeitet. Wegen der schleppend angelaufenen Bemühungen, die gröbsten Fehler der »Jahrhundertreform« zu beheben, hält die Salariatskammer selbst diese Zielvorgaben für »ziemlich ambitioniert«: Die Ausbildungsprogramme seien zum Teil überladen, die vom Lehrling am Ende der Ausbildung erwarteten Kompetenzen seien oft unverständlich formuliert, es sei schwer, die Leistungen der Auszubildenden zu vergleichen und die Hürden, die sich einem Lehrling stellen, der seine Ausbildung wechseln will, seien noch immer zu hoch.
Minister Meisch sollte also nicht den Fehler seiner Vorgängerin wiederholen, die versucht hatte, ihre »Jahrhundertreform« übers Knie zu brechen. Am Ende wurde und wird nämlich noch mehr selektiert. Der Salariatskammer zufolge hatten von 268 Schülern, die im ersten Jahr nach der Reform eine Ausbildung im Handel begannen, nur 104 das Abschlußexamen geschafft und im Handwerk bestanden sogar nur 36 von 202 Schülern die Abschlußprüfung.
Vor allem aber sollte der Erziehungsminister nicht weiter versuchen, die Qualität der Berufsausbildung ausschließlich dadurch zu verbessern, daß dem Lehrling als schwächstem Glied in der Kette die größten Anstrengungen abverlangt werden.
Oliver Wagner