Ausland15. März 2025

Rüsten, rüsten, rüsten

EU legt nie dagewesenes Rüstungsprogramm auf – aber unter der Oberfläche zeichnen sich Risse ab

von Jörg Kronauer

So viel Aufrüstung gab es in der Geschichte der EU noch nie. 800 Milliarden Euro: Diese immense Summe will die EU-Kommission für die weitere Militarisierung der Mitgliedstaaten locker machen. Die Pläne dazu nickten die Staats- und Regierungschefs des europäischen Staatenkartells auf ihrem Sondergipfel am 6. März umstandslos ab.

150 Milliarden Euro sind für vergünstigte Kredite vorgesehen, mit denen die EU-Staaten ihre Bewaffnung vorantreiben sollen. Weil die EU laut derzeitigem Stand keine Waffen finanzieren darf, muß ein wenig getrickst werden: Mit den Krediten sollen vor allem die Rüstungsforschung, die Entwicklung von Kriegsgerät und der Bau von Waffenfabriken bezahlt werden; die Details müssen die EU-Finanzminister noch ausarbeiten.

Die Europäische Investitionsbank (EIB) soll in Zukunft gleichfalls Rüstungskredite vergeben dürfen; bislang ist ihr das nicht wirklich erlaubt. Zudem ermöglicht die EU nationale Rüstungsvorhaben im Wert von geschätzt 650 Milliarden Euro, indem sie die Schuldenregeln lockert und es gestattet, Waffenkäufe von der 3-Prozent-Grenze der Maastricht-Kriterien auszunehmen. Von nun an gilt: Rüsten, rüsten, rüsten. Und es gilt: Zum Krieg treibende Hochrüstung erfordert jeden Widerstand.

Bei allem waffenstarrenden Irrsinn, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Mitgliedstaaten da entfesseln wollen, lohnt es dennoch, das Kleingedruckte zu lesen, um zu ermessen, was mit dem gigantischen Militarisierungsprogramm – »ReArm Europe« genannt, »Europa wiederbewaffnen«, als ob Europa nicht längst von Waffen starren würde – auf die EU zukommt.

Den Großteil der Gelder, die erwähnten 650 Milliarden Euro, müssen die Mitgliedstaaten in Form von Krediten selbst auftreiben. Für diejenigen, die ohnehin bereits umfassend verschuldet sind – Frankreich mit 110 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, Italien mit 136 Prozent –, ist das ein Problem; die Gefahr einer neuen Schuldenkrise ist real. Daran liegt es, daß vor allem die südlichen EU-Staaten energisch darauf dringen, die EU müsse einspringen und ihrerseits mit »Eurobonds«, mit Rüstungsanleihen Geld auftreiben. EU-Schulden über die 150 Milliarden Euro hinaus lehnt jedoch die deutsche Bundesregierung wie üblich ab; »die Position Deutschlands in dieser Frage«, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz am 6. März, sei »bekannt« und werde sich »nicht sehr ändern«. Streit ist programmiert.

Ärger könnte es auch in der Frage geben, wo künftig Waffen gekauft werden sollen. Das ergibt sich aus dem Kontext, der zu »ReArm Europe« geführt hat. Auslöser war die Tatsache, daß die Trump-Regierung die Ukraine, die von Unterstützung aus den USA hochgradig abhängig ist, kurzzeitig eiskalt fallenließ. Kann man sich denn darauf verlassen, daß Washington in künftigen Konflikten mit den EU-Staaten nicht das Gleiche tut? Nein, das kann man nicht, und das gilt vor allem natürlich auch dann, wenn die EU in einen ernsten Konflikt mit den USA gerät, so etwa im Streit um Grönland.

Der Vorsitzende von Airbus Defence and Space hat denn auch kurz nach dem EU-Sondergipfel darauf hingewiesen, daß etwa die dänischen F-35, von Kooperation mit den USA abhängig, es wohl gar nicht erst bis nach Grönland schaffen würden, wenn die Vereinigten Staaten das nicht wollten. Subtext: Man sollte künftig Eurofighter kaufen.

Die Tatsache, daß die EU-Staaten aktuell rund vier Fünftel ihrer Importe aus Staaten außerhalb der EU beziehen, macht einen sofortigen Umstieg auf »Buy European«, den Waffenkauf ausschließlich bei einheimischen Rüstungskonzernen, schwer.

Auf ihrem Brüsseler Sondergipfel fällten die Staats- und Regierungschefs auch Beschlüsse jenseits von »ReArm Europe«, nämlich solche, die die Ukraine betreffen. Allerdings fällten sie diese nicht mehr einstimmig; Ungarn weigerte sich, ihnen zuzustimmen. Die EU konnte der Ukraine also die sieben Milliarden Euro, die sie ihr eigentlich für Waffen und Munition zukommen lassen wollte, nicht zusagen. Auch die Erklärung, in der sie Kiew wie gewohnt Unterstützung versprach und Rußland wie üblich attackierte, konnte sie nicht geschlossen verabschieden; es gab lediglich eine Stellungnahme von 26 der 27 Mitgliedstaaten.

Auch wenn in diesem Fall nur ein einziger Mitgliedstaat ausscherte, zeigt der Fall: Die EU muß inzwischen sogar in zentralen Angelegenheiten wie dem Ukraine-Krieg auf »Koalitionen der Willigen« zurückgreifen, um handlungsfähig zu sein. Regierungswechsel in einzelnen EU-Staaten oder größere Uneinigkeit auf anderen Themenfeldern könnten das Dilemma künftig verstärken. Unter der – zu Recht – Schrecken erregenden Oberfläche einer beispiellosen Militarisierung zeichnen sich ernste Risse ab.