Ausland29. April 2021

»il manifesto«

Eine linke Legende begeht 50. Geburtstag

von Gerhard Feldbauer

Am Mittwoch beging das linke »il manifesto« den 50. Jahrestag seiner Gründung als Tageszeitung. Am Kiosk erschien die Jubiläums-Ausgabe mit einer 96-seitigen Beilage, die ein großartiges Album des »Besten« ist, das seit den siebziger Jahre gesammelt wurde.

Bereits im Herbst 1969 hatte eine Gruppe in der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) um Rossana Rossanda und Luigi Pintor, die aus Protest gegen die sich in der Partei ausbreitende reformistische Ideologie des »Eurokommunismus« entstanden war, eine Wochenzeitung mit dem Namen »il manifesto« herausgegeben. Die PCI-Führung griff rigoros durch, etwa zehntausend Anhänger der Gruppierung mit Rossana Rossanda und Luigi Pintor an der Spitze wurden wegen Fraktionsbildung aus der Partei ausgeschlossen oder verließen sie aus Protest.

Die Gründung des »il manifesto« als Tageszeitung im April 1971 war dann eine Reaktion auf die Politik der Regierungszusammenarbeit des PCI mit der großbürgerlichen Democrazia Cristiana (DC) unter Enrico Berlinguer, der seit März 1972 Generalsekretär des PCI war – eine politische Linie, die später unter der Bezeichnung »Historischer Kompromiß« bekannt wurde.

Berlinguer hatte erstmals in einem Beitrag »Zur Frage der Bündnispolitik der Arbeiterklasse und sozialer Block« in der theoretischen Zeitschrift »Rinascita« am 15. Januar 1971 über den »historischen Kompromiß« philosophiert. Er wollte damit der von dem Movimento Sociale Italiano (MSI), einer Nachfolgerin der Mussolini-Partei, ausgehenden faschistischen Gefahr Einhalt gebieten. Deren Anführer, der als Kriegsverbrecher wegen 800-fachen Mordes an Partisanen verurteilte, allerdings später begnadigte Fürst Valerio Borghese, hatte am 7. Dezember 1970 mit Hilfe der NATO einen Putschversuch unternommen, um erneut ein faschistisches Regine in Italien zu errichten. Nach dem Sturz von Präsident Salvador Allende durch den faschistischen Militärputsch am 11. September 1973 in Chile erläuterte Berlinguer in »Rinascita« (September/Oktober), daß 51 Prozent linke Stimmen im Parlament den Bestand einer Regierung »nicht garantieren« könnten. Nur eine breite Mehrheit, die die DC einschließen müsse, könne vor einem »reaktionären Abenteuer wie in Chile« schützen.

»il manifesto« lehnte von Anfang an Berlinguers Kurs einer Regierungszusammenarbeit mit der DC auch deshalb ab, weil der Generalsekretär des PCI dem Druck der sozialdemokratisch orientieren Fraktion in der Partei nachgab, die sich zur kapitalistischen Marktwirtschaft bekannte, lediglich eine »demokratische Transformation« des bürgerlichen Staatsmodells forderte, vor allem aber, wie der »Corriere della Sera« am 15. Juni 1976 schrieb, die Meinung vertrat, die NATO eigne sich »unter bestimmten Bedingungen« als »Schutzschild eines italienischen Weges zum Sozialismus«.

Es gab eine Reihe von Einwänden gegen die Trennung des »Manifesto« vom PCI, sie sei voreilig gewesen und die Zeitung hätte innerhalb der Partei die starken Kräfte an der Basis und in der Parteiführung um den Vorsitzenden Luigi Longo und Politbüro-Mitglied Giancarlo Pajetta zur Zurückdrängung des reformistischen Einflusses unterstützen sollen, über die die »l’Unità« mehrfach berichtete. Bis heute wird auch thematisiert, ob damit nicht die später einsetzende Spaltung der kommunistischen und linken Bewegung Italiens in nunmehr drei kommunistische Parteien und noch mehr »Linksparteien« einen Auftrieb erhielt. Hinzu kommt, daß sich auch »il manifesto« an weiteren Versuchen beteiligte, einen linken Gegenpol gegen den PCI zu bilden.

»il manifesto« existierte weiter auch als linke Vereinigung und schloß sich im Juli 1974 der Partei der Proletarischen Einheit für den Kommunismus (PdUP) an. Der PdUP war die Nachfolgepartei der Sozialistischen Partei der Proletarischen Einheit (PSIUP), gegründet 1964 von linken Sozialisten, die mit Lelio Basso an der Spitze aus der Sozialistischen Partei (PSI) ausgeschieden waren. Der PdUP löste sich 1984 auf und die Mehrheit der aktiven Mitglieder kehrte zum PCI zurück, dessen »historischer Kompromiß« der Regierung mit der DC 1978 gescheitert war. Nach dem Tod von Enrico Berlinguer im Juni 1984 erlangten dennoch die Reformisten die Führung in der Partei und setzten schließlich 1990 die Umwandlung in die sozialdemokratisch orientierte Partei des demokratischen Sozialismus (PdS) durch – ein Beispiel, dem dann auch andere Parteien in weiteren europäischen Ländern folgten.

An der Neugründung des PCI in Gestalt der Partei der kommunistischen Wiedergründung (PRC) Ende 1990 beteiligten sich frühere PdUP-Mitglieder und damit auch »Manifesto«-Leute. Hoffnungen, »il manifesto« könnte Parteiblatt des PRC werden, erfüllten sich nicht. Daß der PRC, da er nicht mit dem opportunistischen Erbe des PCI brach, denselben Weg in diesen Sumpf ging, und auch »Manifesto«-Leute beteiligt waren, soll hier nur am Rande erwähnt werden.

Während »l’Unità«, die traditionsreiche Zeitung des PCI, nach der Umwandlung der Partei 1990 Blatt des PdS, ebenso wie »Liberazione«, die Zeitung des PRC, im Sog der Spaltung der kommunistischen Bewegung untergingen, konnte »il manifesto« weiter bestehen und ist heute die einzige linke Zeitung Italiens, die noch als Printausgabe erscheint.

Wenn auch von einem Bekenntnis zur kommunistischen Identität kaum noch die Rede ist und »il manifesto« sich nicht an der kommunistischen Sammlungsbewegung beteiligte, die der 2018 verstorbene Domenico Losurdo ins Leben rief, ist es noch immer ein entschiedenes linkes Medium. Wenn es in der Jubiläumsausgabe heißt, »il manifesto feiert seine ersten 50 Jahre«, dann soll das wohl heißen, es gehe um den Start ins zweite halbe Jahrhundert.