Ausland09. Juni 2021

Kinder-Massengrab in Kanada

von dpa/ZLV

Genf/New York – Nach dem Fund eines Massengrabs mit Überresten von 215 Kinderleichen auf dem Gelände eines früheren Internats für Indigene in Kanada haben UNO-Menschenrechtsexperten von der Regierung des Landes und dem Vatikan umfassende Aufklärung verlangt. Kanadas Premierminister Justin Trudeau rief seinerseits die katholische Kirche auf, für ihre Rolle als Betreiberin dieser Schulen Verantwortung zu übernehmen. Rosanne Casimir, Oberhaupt der Tk'emlups te Secwepemc First Nation in der westlichen Provinz British Columbia, forderte eine öffentliche Entschuldigung des Vatikans.

Das Massengrab in der Nähe der Stadt Kamloops in British Columbia war Ende Mai entdeckt worden. Es fand sich auf dem Gelände der Kamloops Residential School, einer Art Umerziehungslager für Kinder kanadischer Ureinwohner, das zwischen 1890 und 1978 in Betrieb gewesen war. Wann und woran die Kinder starben, ist noch nicht bekannt. Einige von ihnen wurden nur drei Jahre alt.

Die UNO-Menschenrechtsexperten forderten in einer Stellungnahme Kanadas Regierung und den Vatikan auf, umfassende Untersuchungen zu den Todesumständen der Kinder und zu etwaigen Verantwortlichen zu veranlassen. Die Experten sprachen von »abscheulichen Verbrechen« und Menschenrechtsverstößen in den Internaten. Es wäre »schlicht unvorstellbar«, wenn der kanadische Staat und der Vatikan die Verantwortlichen ungeschoren davonkommen ließen und sich nicht um eine umfassende Entschädigung kümmerten, hieß es. Ermittlungen seien an allen derartigen Einrichtungen in Kanada nötig, um Folter- und Mißbrauchsvorwürfen nachzugehen und womöglich noch lebende Übeltäter zur Rechenschaft zu ziehen.

Auf der ersten Pressekonferenz seit dem Fund sagte Rosanne Casimir am Freitag, ihre indigene Gemeinschaft habe sich kürzlich mit dem örtlichen katholischen Bischof getroffen – aber das reiche nicht. »Wir wollen eine Entschuldigung – eine öffentliche Entschuldigung, nicht nur für uns, sondern für den Rest der Welt«. »Wir machen die Katholische Kirche dafür verantwortlich.«

Die Einrichtung bei Kamloops war nach Angaben von Indigenen die größte ihrer Art in Kanada. Vom 17. Jahrhundert bis in die 1990er wurden solche sogenannten Residential Schools von der Regierung verwaltet und finanziert. Betreiber waren größtenteils Kirchen und religiöse Organisationen.

Es handelt sich um eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Kanadas: Über Jahrzehnte riss die Regierung Tausende Söhne und Töchter aus ihren Familien und steckte sie in Internate. Dort sollten sie ihre Kultur vergessen –Feste, Lieder, Sprache, Religion – und die Traditionen der europäischen Einwanderer erlernen. Gewalt und sexueller Mißbrauch waren praktisch an der Tagesordnung.

Der Missionsorden, der die Schule betrieb, habe seine internen Aufzeichnungen geheimgehalten, sagte Rosanne Casimir. Die sterblichen Überreste scheinen von Kindern zu stammen, deren Tod nicht dokumentiert worden war und die keine gekennzeichneten Gräber bekommen hatten.